9 - Die Wiederkehr: Thriller
Universität des Nordostens, die Señor Palmer schon Mitte der Achtziger besucht hatte, hatte zunächst die Studenten angezogen. Mit ihnen kamen ihre Familien. Und dann noch mehr Familien. Der private Bausektor ließ es sich nicht nehmen, diese Goldgrube zu erschließen. Eine Siedlung nach der anderen schoss aus dem Boden, immer weiter entfernt vom eigentlichen historischen Kern des Dorfes, der völlig an Bedeutung verlor. Wie auch sein ursprünglicher Name: Arenas de la Despernada (den die Bewohner einfach abkürzten, aus Bequemlichkeit oder vielleicht auch, um den Bezug auf die Adlige zu unterschlagen, die der Legende nach bei der Gründung des Dorfes beide Beine verlor). Die neuen Dorfbewohner zogen in die kleinen Häuschen mit den gepflegten Vorgärten, Gartenzäunen und eigenen Swimmingpools hinter dem Haus. Die Brüder Moreno verdienten sich mit ihrer Firma eine goldene Nase. Ihr Slogan »Pool ist cool« war ein voller Erfolg. Auch die Gemeindeverwaltung wusste die Situation für sich zu nutzen, indem sie allen Kindern, die in der Dorfschule ihr Abitur machten, ein kostenloses Universitätsstudium garantierte. Diese Maßnahme sorgte endgültig dafür, dass Arenas, vierzig Kilometer nordwestlich von Madrid, eine junge, attraktive Einwohnerschaft bekam, wohlhabende Ehepaare, die aus der Großstadt aufs Land zogen, wo sie ihren Sprösslingen vom Kindergarten bis zum Hochschulabschluss alles bieten konnten, ohne dass diese dafür die Stadt verlassen mussten. Sprösslingen, denen Arenas außerdem eine besonders glückliche Kindheit versprach, sei es am See, dem zweiten großen Wahrzeichen der Stadt, oder auf den Riesenrutschen des Aquatopia.
Nicht weit von den Umrissen des Schwimmbads entfernt erkannte Aarón das Haus, in dem er wohnte. Und er entdeckte auch das grüne Leuchtschild der Apotheke, in der er im letzten Studienjahr sein Praktikum absolviert hatte und in der er seither arbeitete.
Er umschloss das Lenkrad fest mit beiden Händen. Das Plastik knarzte zwischen seinen Fingern und störte die unendliche Stille dieser Nacht, in der er allen Mut zusammengenommen und seine Freundin, die Frau mit dem herzerwärmenden Lachen und dem magischen Hüftschwung, einfach so aus seinem Leben geworfen hatte. Die Frau, die ihm sogar den Seitensprung mit Rebeca Blanco verziehen hatte, einer Studentin, die in der Apotheke ihr praktisches Jahr absolviert und bei der Aarón das Abenteuerfeeling gesucht hatte, das ihm in seinem Leben schon länger fehlte. Ein Ausrutscher, den er ihr schließlich gestanden hatte. Und Andrea hatte ihm verziehen, weil sie den Schmerz des Verrats dem des Verlusts vorzog. Ein Liebesbeweis, der Aarón offenbar nicht reichte. Er wollte immer noch ausprobieren, wie sich ein Leben ohne Andrea anfühlte. Er musste sich erst einmal von ihr trennen, um herauszufinden, ob er sie wirklich so sehr liebte, wie er glaubte. Sich vergewissern, bevor sie eine Familie gründeten und nie mehr die Möglichkeit hätten, die Wahrheit zu erfahren. »Jetzt sag’s ihr doch endlich«, hatte David ihn schon vor Wochen ermuntert. »Erklär es ihr so, wie du es mir erklärt hast. Dass die Sache mit Rebeca ein Symptom sein könnte. Dass du das Gefühl hast, in den letzten zehn Jahren eurer Beziehung etwas verpasst zu haben. Und dass du noch nicht bereit bist, Vater zu werden. Wenn es so ist, dann ist es so. Da kann man nichts erzwingen«, lauteten seine Worte. Und dann hatte er, um ihn ein bisschen aufzumuntern, vorgeschlagen, eine Reise zu machen. »Wir nehmen uns eine Woche frei und fliegen irgendwohin. Was weiß ich … nach Kuba«, hatte er mit einer ausschweifenden Handbewegung verkündet, als befände sich diese Insel auf dem Mond. »Nur du und ich. Um dein neues Leben zu feiern. Oder zusammen zu weinen. Wonach dir gerade ist.«
Wie hypnotisiert von dem grünen Licht in der Ferne schloss Aarón die Augen und hoffte, die Erinnerungen vertreiben zu können. Doch sein Blick schweifte unwillkürlich wieder zum Armaturenbrett. Da lag der Stein, den sie an jenem Abend, als alles anfing, im See gefunden hatten. An dem Abend, als er Andrea zum ersten Mal gesagt hatte, dass er sie liebte. Aarón hatte alles so geplant, dass der Moment mit der Sommersonnenwende zusammenfiel, der den ersten Sommer der Neunziger einläutete. Gemeinsam hatten sie auf der Decke gesessen, die er am Ufer des Sees ausgebreitet hatte. Nicht geplant hatte er den unaufhaltsamen Drang, sich voll bekleidet ins Wasser zu stürzen, um Andrea etwas zu sagen,
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