9 - Die Wiederkehr: Thriller
getönten Sonne eines zur Neige gehenden Tages. Ein vollkommeneres Bild von der jugendlichen Liebe und einem Sommer voller Möglichkeiten hatte Palmer nie gesehen.
»Also, wenn du von den vorherigen Überfällen weißt«, riss Aarón ihn aus seinen Gedanken, »dann weißt du auch, dass es wieder passieren wird. Es ist doch alles glasklar. Das Schlimme ist nur, dass diesmal ein Kind durch die Schüsse zu Tode kommt.«
Während er sprach, fuhr er noch einmal mit dem Zeigefinger über die Zeile, die er auf den Umschlag geschrieben hatte. Er versuchte nichts zu beschönigen. Er hielt es nicht für nötig, den Ernst eines Satzes, in dem die Worte Kind, Tod und Schüsse vorkamen, herunterzuspielen.
Wieder misstraute der Amerikaner dem kleinen Apparat an seinem Ohr. Er schüttelte den Kopf. Er fokussierte seinen Blick. So wendig, wie es ihm noch möglich war, ging er um den Ladentisch herum und auf Aarón zu. Und unbeholfen wie immer, wenn es um den Ausdruck von Zuneigung ging, dachte er daran, diesen jungen Mann in die Arme zu schließen. Doch dann packte er ihn nur auf Höhe des Ellbogens am Arm.
»Aarón.« Er rüttelte ihn, damit er endlich den Umschlag fallen ließ, den er in der Hand hielt. »Wovon redest du? Ist alles in Ordnung? Wenn es wegen David ist, er wird wieder gesund. Ich weiß es. Vor ein paar Tagen kam die kleine Schwester einer der Krankenschwestern vorbei, die …«
»Warte«, unterbrach Aarón ihn. »Wann ist dein Geburts tag?« Aarón wusste Palmers Alter, sie hatten es in der Zeitung erwähnt und die ganze Stadt in Erstaunen versetzt. Dreiundfünfzig. Bei allen vier Überfällen hatte eine Person dieses Alter. »Sag’s mir. Ich muss es wissen, um ein paar … ein paar Dinge zu überprüfen. Sag mir das Datum.«
»Aber was …«
»An welchem Tag sind Sie geboren«, wiederholte er, wobei er jedes Wort übertrieben in die Länge zog, um seine Genervtheit zum Ausdruck zu bringen.
Aarón befreite seinen Arm aus dem Zangengriff des alten Palmer. Dann verbeugte er sich mit einer ausholenden Geste, so theatralisch und übertrieben wie ein Magier, der dem Mann aus dem Publikum genau die Spielkarte präsentiert, an die er gerade gedacht hat.
»Am zehnten März 1947«, sagte Palmer. Er musste kurz nachdenken, bevor er die Jahreszahl nannte, denn sie wäre ihm beinahe auf Englisch herausgerutscht. »Und was hat das jetzt mit der ganzen Sache zu tun?«
Schnell, wie Aarón schon immer im Kopfrechnen war, hatte er den Fehler entdeckt.
Das kann nicht sein.
Plötzlich hatte er keine Lust mehr auf dieses Theater. Der alte Palmer betrachtete ihn schweigend. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Aarón bemerkte das leichte Stirnrunzeln des Alten und fühlte sich unwohl. Er hob den Umschlag auf und drückte ihn Palmer in die Hände, wobei er beide Hände des Amerikaners fest mit seinen eigenen verschloss. Der Alte fühlte sich von dieser körperlichen Vehemenz sichtlich bedrängt.
»Erinnerst du dich daran, wie du mir mein erstes Bier verkauft hast? Du wusstest es genau. Du wusstest, dass ich noch nicht achtzehn war. Und ich hatte geglaubt, ich hätte dich überlistet. Darum mögen dich alle in der Stadt so gerne. Glaubst du, irgendein anderer hätte mir das Bier verkauft? Ich glaube nicht. Niemals.« Aarón dämpfte die Stimme und führte sein Gesicht ganz nah an Palmers. »Tu jetzt einfach wieder so, als würdest du mir glauben. Vertrau mir einfach. Bewahr diesen Brief für mich auf. Bitte. Höchstwahrscheinlich wirst du ihn nie übergeben müssen. Ich kümmere mich selber um die Sache. Heb ihn einfach nur auf. Aber lies ihn nicht. Solange du nicht weißt, was drinsteht, betrifft es dich auch nicht. Mach dir keine Sorgen. Ich schwöre dir, er bedeutet nur Gutes. Er ist …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »von großer Bedeutung. Aber wie gesagt, sehr wahrscheinlich musst du den Brief gar niemandem geben.«
Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern.
Um ihn hören zu können, musste Palmer ein Ohr an Aaróns Lippen halten.
»Und wenn der Tag kommt, an dem du den Brief überreichen musst«, sprach er weiter und besprenkelte die Härchen auf den Ohren des Amerikaners mit seinem Speichel, »nun, ich schätze mal … du wirst es dann schon merken.«
Aarón schwieg einen Augenblick, während es in seinem Kopf nachhallte: Der eine wird geboren, wenn der andere stirbt. Schnell fügte er noch hinzu:
»Es könnte sein, dass dich der Junge an Davo erinnert.«
Palmer verzog das Gesicht.
Er zog die
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