9 SCIENCE FICTION-STORIES
alle umbringen. Holen Sie die Polizei …!«
»Miriam!« keifte die andere Frau wieder, und Miriam beruhigte sich. Am Treppenkopf stand diese Frau mit dem Backpflaumengesicht und dem spitzenbesetzten Kleid. Sie sah sehr viel älter aus, als sie war, vermutlich, weil sie den Mund so fest zusammenpreßte. Ich glaube, sie war etwa dreiunddreißig – dreiunddreißig! Sie hatte tückische Augen und eine kleine Nase.
»Sind Sie Miß Kew?« fragte ich sie.
»Ja. Was soll denn dieses Eindringen in mein Haus?«
»Ich muß mit Ihnen reden, Miß Kew.«
»Sag ›sprechen‹ und nicht ›reden‹. Halte dich gerade und laß das Murmeln.«
»Ich hole die Polizei«, sagte das Dienstmädchen.
Miß Kew wandte sich ihr zu. »Das hat noch Zeit, Miriam. Nun, du kleiner Schmutzfink, was willst du von mir?«
»Ich muß mit Ihnen allein reden«, erklärte ich ihr.
»Lassen Sie das nicht zu, Miß Kew«, jammerte das Mädchen.
»Sei still, Miriam. Kleiner Junge, ich sagte dir doch, du sollst nicht ›reden‹ sagen. Sprich ruhig vor Miriam. Sie darf alles hören.«
»Blödes Zeug.« Beiden blieb der Mund offenstehen. »Lone hat es mir verboten.«
»Miß Kew, wollen Sie wirklich …«
»Sei still, Miriam. Junger Mann, du wirst dich anständig …« Doch dann quollen ihr die Augen hervor. »Wer, sagtest du …?«
»Lone. Er hat es mir verboten.«
»Lone.« Sie stand an der Treppe und sah ihre Hände an. Dann sagte sie: »Miriam, ich brauche dich nicht mehr.« Und man hätte nicht glauben wollen, daß das die gleiche Frau wie vorhin war.
Das Mädchen wollte widersprechen, aber Miß Kew deutete mit dem Zeigefinger hinaus, und ihr Finger war so spitz und scharf, daß er an einen Gewehrlauf erinnerte. Das Mädchen verschwand schleunigst.
»He«, rief ich ihr nach. »Hier ist Ihr Besen.« Ich wollte ihn ihr nachwerfen, aber Miß Kew nahm ihn mir ab.
»Hier herein«, sagte sie.
Sie ließ mich vor sich her in ein Zimmer gehen, das so groß wie der Weiher war, in dem wir immer schwammen. Überall sah man Bücher, und die Tische waren mit Leder überzogen und hatten goldene Blümchen an den Ecken.
Sie deutete auf einen Stuhl. »Setz dich. Nein, warte einen Augenblick.« Sie ging zum Kamin und holte eine Zeitung aus einer Schachtel, die sie auf dem Stuhl ausbreitete. »Jetzt setz dich.«
Ich setzte mich auf den Stuhl, und sie schleppte einen zweiten Stuhl herbei, aber auf den legte sie kein Papier.
»Was ist los?« fragte sie. »Wo ist Lone?«
»Tot«, sagte ich.
Sie hielt den Atem an und wurde schneeweiß. Dann starrte sie mich an, bis ihre Augen ganz wässerig waren.
»Tot? Lone ist tot?«
»Ja. Wir hatten letzte Woche einen Wolkenbruch, und als Lone am nächsten Abend bei dem starken Sturm hinausging, kam er an einer alten Eiche vorbei, die vom Wasser unterspült war. Der Baum hat ihn erschlagen.«
»Hat ihn erschlagen«, flüsterte sie. »O nein, das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!«
»Und ob es wahr ist. Wir haben ihn heute morgen eingegraben. Wir konnten ihn nicht mehr länger so lassen. Er begann zu …«
»Sei still!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
»Was ist denn los?«
»Es ist gleich vorbei«, sagte sie leise. Sie stand auf und stellte sich mit dem Rücken zu mir an den Kamin. Ich zog einen meiner Schuhe aus, während ich darauf wartete, daß sie zurückkam. Aber statt dessen sprach sie vom Kamin aus. »Bist du Lones kleiner Junge?«
»Ja. Er sagte mir, ich solle hierherkommen.«
»Ach, mein armer, kleiner Junge!« Sie lief auf mich zu, und einen Augenblick lang dachte ich, sie wolle mich auf die Arme nehmen. Aber kurz vor mir blieb sie stehen und rümpfte die Nase ein wenig.
»Wie – wie heißt du?«
»Gerry.«
»Nun, Gerry, wie würde es dir gefallen, in diesem hübschen großen Haus zu wohnen und – und saubere Kleider und alles andere zu bekommen?«
»Ja, so stelle ich mir das Ganze auch vor. Lone sagte mir, ich
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