9 SCIENCE FICTION-STORIES
auch nicht: »Gut.« Er machte überhaupt kein Aufhebens davon. Er nahm lediglich seinen Telefonhörer ab und sagte: »Sagen Sie für diesen Nachmittag alle anderen Verabredungen ab.«
Dann rutschte er seinen Stuhl so von mir weg, daß ich ihn nicht sehen konnte.
Es war sehr ruhig in seinem Raum. Er hatte ihn mit schalldichten Wänden verkleiden lassen.
Ich sagte: »Warum, glauben Sie, hat Lone mich so lange da draußen wohnen lassen, wenn ich nichts von all den Dingen verstand, die die anderen Kinder fertigbrachten?«
»Vielleicht hattest du doch deine Fähigkeiten.«
»O nein«, sagte ich bestimmt. »Ich habe es immer wieder versucht. Ich war stark für einen Jungen meines Alters, und ich wußte, daß es immer besser ist, den Mund zu halten, aber davon abgesehen, unterschied ich mich nicht von anderen Kindern. Ich glaube auch nicht, daß ich jetzt anders als normale Fünfzehnjährige bin – nur daß sie nicht mit Lone und den anderen zusammen gelebt haben.«
»Hat das etwas mit ›Baby ist drei‹ zu tun?«
Ich sah zu der grauen Decke auf. »Baby ist drei. Baby ist drei. Ich ging zu einem großen Haus mit einem gewundenen Pfad, der unter einer Art Pergola verlief. Baby ist drei. Baby ist …«
»Wie alt bist du?«
»Dreiunddreißig.«
Ich sagte es, und im nächsten Augenblick schoß ich von der Couch hoch wie von der Tarantel gestochen. Ich lief auf die Tür zu.
»Sei kein Narr«, sagte Stern. »Willst du, daß ich deinetwegen den ganzen Nachmittag verliere?«
»Das ist mir egal. Ich zahle dafür.«
»Schon gut, es liegt ganz bei dir.«
Ich ging zurück. »Dieser Teil der Geschichte liegt mir überhaupt nicht.«
»Gut. Dann kommen wir der Sache schon näher.«
»Weshalb habe ich ›dreiunddreißig‹ gesagt? Ich bin fünfzehn. Und noch eines …«
»Ja?«
»Dieses ›Baby ist drei‹ – schön, ich habe es gesagt. Aber wenn ich darüber nachdenke, so ist es nicht meine Stimme, die es sagt.«
»So wie dreiunddreißig nicht dein Alter ist?«
»Ja«, flüsterte ich.
»Gerry«, sagte er warm, »du brauchst dich vor nichts zu fürchten.«
Ich merkte, daß ich zu aufgeregt atmete. Ich versuchte mich zur Ruhe zu zwingen. »Es gefällt mir nicht, daß ich mich an Dinge erinnere, die eine fremde Stimme mir zuflüstert«, sagte ich.
»Sieh mal«, sagte er mir, »diese Gehirnwäscherei, wie du es vor einer Weile nanntest, ist nicht so, wie sie sich die meisten Leute vorstellen. Wenn ich dich in deine Geisteswelt begleite – oder wenn du allein hineingehst –, wirst du eine Welt finden, die sich von der Wirklichkeit nicht allzusehr unterscheidet. Anfangs wird es zwar so scheinen, weil der Patient sich noch nicht von all seinen Phantastereien, den Irrationalitäten und außergewöhnlichen Erlebnissen getrennt hat. Aber jeder lebt in dieser Art von Welt. Als einer unserer großen Geister den Satz prägte: ›Die Wahrheit ist unwirklicher als die Dichtung‹, sprach er über dieses Phänomen.
Wohin wir gehen, was wir tun – wir sind von Symbolen umgeben, von Dingen, die wir gar nicht ansehen oder die uns gar nicht auffallen würden, wenn wir hinsähen. Wenn jemand es fertigbrächte, dir genau zu erzählen, was er tat und erlebte, als er zehn Schritt die Straße hinunterging, würdest du so einen verwirrenden, verzerrten und unvollständigen Eindruck erhalten wie noch nie in deinem Leben. Keiner sieht seine Umgebung mit Aufmerksamkeit an, bis er an einen Platz wie diesen gerät. Es macht keinen Unterschied, ob man dabei vergangene Ereignisse betrachtet. Wichtig ist lediglich, daß man klarer als je zuvor sieht, weil man sich bemüht, zu sehen.
Nun zurück zu diesem ›Dreiunddreißig‹. Ich glaube, es ist einer der häßlichsten Schocks, die man erlebt, wenn man merkt, daß man sich an die Erlebnisse anderer
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