9 SCIENCE FICTION-STORIES
sollte. Wie mir die Leute so erzählten, scheint es zwei Armeen zu geben, die sich wegen der verschiedenen Rassenansichten bekämpfen. Die einen wollen, daß Schwarz und Weiß getrennt leben, und die anderen wollen, daß sie zusammen sind. Aber ich verstehe nicht, warum sich beide Gruppen so sehr darüber aufregen. Warum lassen sie das Thema nicht einfach?«
»Sie können nicht. Siehst du, Gerry, die Menschen müssen daran glauben, daß sie in irgendeiner Form den anderen überlegen sind. Du und Lone und die anderen Kinder – ihr wart eine enge Gemeinschaft. Habt ihr nie das Gefühl gehabt, daß ihr ein wenig den anderen Menschen überlegen wart? Besser als sie?«
»Besser? Wie hätten wir besser sein können?«
»Oder anders.«
»Nun ja, das vielleicht schon, aber wir haben uns nie Gedanken darüber gemacht. Anders, ja. Aber nicht besser.«
»Du bist ein einmaliger Fall«, sagte Stern. »Und jetzt erzähl mir über den anderen Streit, den ihr hattet. Wegen Baby.«
»Baby – ja. Also, das war ein paar Monate, nachdem wir zu Miß Kew gezogen waren. Alles ging schon ziemlich gut. Wir sagten von selbst ›danke‹ und ›bitte‹, und sie holte den versäumten Unterricht an uns nach. Fünf Tage in der Woche hatten wir vormittags und nachmittags regelmäßig Schule. Jane mußte sich schon längst nicht mehr um Baby kümmern, und die Zwillinge strolchten herum, wo es ihnen Spaß machte. Das war lustig. Sie tauchten einmal da auf, im nächsten Augenblick wieder dort, und Miß Kew wollte oft ihren Augen nicht trauen. Es regte sie aber auch zu sehr auf, wenn die beiden plötzlich irgendwo nackt im Raum schwebten. So ließen sie es bleiben, und Miß Kew war zufrieden. Sie war überhaupt mit der Entwicklung zufrieden. Seit Jahren hatte sie völlig allein gelebt – seit Jahren. Sie hatte sogar eine Uhr vor dem Haus, damit niemand hereinzukommen brauchte. Aber in unserer Gegenwart schien sie aufzuleben. Sie trug nicht mehr diese Altweiberrüschen und begann halbwegs menschlich auszusehen. Manchmal aß sie sogar mit uns zusammen.
Aber eines Tages wachte ich auf und hatte ein ganz unheimliches Gefühl. Es war, als hätte mir jemand im Schlaf etwas gestohlen und ich wußte nicht, was es war. Ich kletterte aus dem Fenster und den Balkon entlang zu Janies Zimmer, was ich eigentlich nicht tun durfte. Sie war noch im Bett. Ich ging hin und weckte sie. Ich sehe noch genau ihre Augen vor mir, wie sie sich noch im Schlaf zu einem Schlitz öffneten und dann ganz groß und rund wurden. Ich mußte ihr nicht sagen, was mich beunruhigte. Sie wußte es, und sie wußte auch, was uns fehlte.
»Baby ist fort«, sagte sie.
Da war es uns gleichgültig, wen wir aufweckten. Wir polterten aus ihrem Zimmer hinunter in die Halle und in den kleinen Raum am Ende des Ganges, wo Baby schlief. Wir wollten es nicht glauben. Die hübsche Wiege, die weiße Truhe mit den Schubladen und all das Rasselzeug zum Spielen waren fort. Statt dessen stand ein Schreibtisch im Zimmer. Es sah aus, als hätte Baby nie in dem Raum gewohnt.
Wir sagten nichts. Wir drehten uns auf der Stelle um und platzten in Miß Kews Schlafzimmer. Ich war erst ein einzigesmal dort gewesen und Janie auch nicht viel öfter. Aber verboten oder nicht, das war uns jetzt gleichgültig. Sie setzte sich auf und lehnte sich an das Brett am Kopfende. Sie sah uns beide kühl an.
»Was soll das bedeuten?« fragte sie uns.
»Wo ist Baby?« schrie ich ihr entgegen.
»Gerard«, sagte sie ruhig, »du brauchst mich nicht anzuschreien.«
Jane war ein wirklich ruhiges Kind, aber sie sagte: »Sagen Sie uns lieber, wo es ist, Miß Kew.« Und Sie hätten Angst bekommen, wenn Sie ihre Augen dabei angesehen hätten.
Ganz plötzlich legte Miß Kew ihre steinerne Miene ab und streckte uns die Hände entgegen. »Kinder«, sagte sie, »es tut mir leid.
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