9 SCIENCE FICTION-STORIES
der große Wechsel. Saubere Kleider, gekochtes Essen, fünf Tage in der Woche Schule. Kolumbus und König Arthur und Staatsbürgerkunde. Über allem dieser große viereckige Eisklumpen. Man sieht, wie er schmilzt, wie die Ecken rund werden, und man weiß, daß es so ist, weil sie einen mag …
Zum Teufel, Miß Kew hatte viel zuviel Selbstbeherrschung, um süßlich zu werden, aber das Gefühl verließ uns nie. Lone kümmerte sich um uns, weil es einfach zu dem Leben gehörte, das er lebte. Miß Kew kümmerte sich auch um uns, aber es stülpte ihr bisheriges Leben völlig um. Es war etwas, das sie bewußt tun wollte.
Sie hatte eine komische Auffassung von ›Recht‹ und eine falsche Auffassung von ›Unrecht‹. Aber sie hielt daran fest und behandelte uns dementsprechend. Wenn sie uns nicht verstand, glaubte sie, es sei ihr eigener Fehler – und es gab eine Menge Dinge, die sie nicht verstand und auch nie verstehen konnte. Wenn alles gutging, war es unser Erfolg. Dieses letzte Jahr war …«
»Nun?«
»Ich brachte sie also um. Hören Sie zu«, sagte ich. Ich hatte das Gefühl, daß ich schnell sprechen mußte. Ich hatte zwar genügend Zeit, aber ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. »Ich erzähle Ihnen alles, was ich darüber weiß. Fangen wir bei dem Tag vor dem Mord an. Ich erwachte am Morgen, und die Bettücher knisterten steif und sauber unter mir. Sonnenlicht drang durch die weißen Vorhänge und die rot-blau gemusterten Übergardinen. Der Schrank ist angefüllt mit meinen Kleidern – meinen eigenen Kleidern, Sie verstehen. Früher hatte mir nie etwas ganz allein gehört. Von unten hörte man Miriams geschäftiges Tellerklappern und das Gelächter der Zwillinge. Sie lachten mit ihr, nicht miteinander, wie sie es früher immer getan hatten.
Im Zimmer neben mir ging Janie umher. Sie sang. Ich wußte, daß ihr Gesicht von innen heraus leuchtete, auch wenn ich sie gerade nicht sah. Ich stehe auf. Das Wasser ist herrlich heiß, und die Zahnpasta brennt auf der Zunge. Die Kleider passen mir, und ich gehe nach unten, und sie sind schon alle versammelt. Ich freue mich, daß sie da sind, und sie freuen sich, daß ich gekommen bin, und wir setzen uns erst an den Tisch, als Miß Kew heruntergekommen ist und wir sie mit lautem Hallo begrüßt haben.
Und so vergeht der Vormittag. Wir haben Schule mit einer kleinen Pause im großen Salon. Die Zwillinge malen das Alphabet und strecken dabei vor Eifer ihre Zungenspitzen heraus. Und wenn wir Zeit haben, malt Janie ein Bild, ein richtiges Bild mit einer Kuh und Bäumen und einem gelben Zaun, der in der Ferne verschwindet. Ich bin hilflos mitten in einer quadratischen Gleichung steckengeblieben, und Miß Kew beugt sich über mich, um mir zu helfen. Ich kann das Lavendel riechen, von dem sie immer ein paar getrocknete Zweige zwischen ihrer Wäsche hat. Ich hebe den Kopf, damit ich es besser riechen kann, und von draußen hört man das Töpfeklappern.
Und der Nachmittag geht auch so vorbei, wieder Schule und Spielen im Garten. Die Zwillinge spielen Fangen, und sie laufen richtig auf ihren Beinen. Janie malt die Blätter auf ihrem Baum bunt und strengt sich an, alles genauso zu machen, wie Miß Kew es ihr gesagt hat. Und Baby hat ein hübsches Laufgitter bekommen. Es bewegt sich zwar nicht allzuviel, sondern sitzt nur da und plappert vor sich hin, aber es hat immer viel zu essen und wird blitzsauber gehalten.
Und dann ist Abend und Abendessen, und Miß Kew liest uns etwas vor. Sie verändert immer die Stimme, wenn eine neue Person in der Geschichte spricht. Einmal liest sie schnell und flüsternd, wenn es unheimlich ist, und dann wieder langsam. Trotzdem kann man jedes Wort deutlich verstehen.
Und dennoch mußte ich sie umbringen. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Du hast nicht gesagt, weshalb
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