9 SCIENCE FICTION-STORIES
entgegen. »Du weißt, was ich gelesen habe. Du mußt auch wissen, was ich denke.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin ein Mensch, eine Frau«, schrie ich ihm zu. »Du hast mich immer wieder ausgenutzt und mir nichts gegeben. Du hast es fertiggebracht, daß ich alle meine Gewohnheiten aufgab, daß ich Abend für Abend hinter Büchern saß, daß ich im Regen zu dir kam, im Regen und sonntags – und du sprichst nicht mit mir, du siehst mich nicht an, du weißt nichts über mich, und ich bin dir egal. Du hast einen Bann um mich gelegt, den ich nicht durchbrechen konnte. Und wenn du mich nicht mehr brauchen kannst, sagst du einfach: ›Komm nicht mehr hierher!‹«
»Muß ich etwas zurückgeben, wenn ich etwas genommen habe?«
»Das ist unter Menschen so üblich.«
Er summte überrascht und interessiert vor sich hin. »Was soll ich dir geben? Ich habe nichts.«
Ich trat zurück. Ich fühlte – ich weiß nicht, was ich fühlte. Nach langer Zeit sagte ich: »Ich weiß nicht.«
Er zuckte die Schultern und drehte sich um. Ich sprang geradezu auf ihn los und riß ihn zurück.
»Ich will, daß du …«
Ich konnte ihn nicht ansehen. Ich konnte kaum sprechen. »Ich weiß nicht. Da ist etwas, aber ich weiß nicht, was es ist. Ich – ich könnte es auch nicht sagen, wenn ich es wüßte.« Als er wieder den Kopf schüttelte, nahm ich wieder seine Arme. »Du hast die Bücher in meinem Innern gelesen. Kannst du nicht meine Gefühle – midi lesen?«
»Ich habe es noch nie versucht.« Er hielt mein Gesicht hoch und kam ganz nahe.
»Bitte«, sagte er.
Der Strahl seiner Augen durchforschte mich, und ich schrie auf. Ich versuchte ihm zu entkommen. Das hatte ich nicht gewollt, wirklich nicht. Ich kämpfte mit aller Kraft. Ich glaube, er hob mich einfach vom Boden hoch. Er hielt mich fest, bis er fertig war. Dann ließ er mich einfach fallen. Ich lag da und schluchzte. Er setzte sich neben mich. Er versuchte nicht, mich zu berühren. Er versuchte nicht, wegzugehen. Endlich beruhigte ich mich und setzte mich auf. Ich wartete.
»So was mache ich nie wieder«, sagte er.
Ich zog den Rock um meine Knöchel und legte die Wange auf die hochgezogenen Knie, so daß ich sein Gesicht sehen konnte. »Was geschah?«
Er fluchte. »Verdammter Mischmasch in dir. Dreiunddreißig Jahre alt – warum lebst du nur so?«
»Ich habe ein angenehmes Leben«, sagte ich ein wenig beleidigt.
»Jaa«, sagte er gedehnt. »Seit zehn Jahren bist du allein mit deiner Haushälterin. Ganz allein.«
»Männer sind Tiere. Und Frauen …«
»Im Grunde genommen haßt du Frauen. Sie alle haben dir etwas voraus. Du weißt nicht, was es ist.«
»Ich will es gar nicht wissen. Ich bin glücklich.«
»Blödsinn.«
Darauf sagte ich nichts. Ich verachte diese Art von Ausdrucksweise.
»Zwei Dinge willst du von mir. Mir erscheinen beide sinnlos.« Er sah mich zum erstenmal mit einem menschlichen Ausdruck an: Es war reine Verwunderung. »Du möchtest alles über mich erfahren. Woher ich komme und weshalb ich so geworden bin.«
»Ja, das will ich. Und das andere?«
»Ich wurde irgendwo geboren und bin gewachsen wie irgendein Unkraut.« Er hatte meine zweite Frage ignoriert. »Meine Leute versuchten nicht mal die Waisenhaustour. Ich lebte eine Zeitlang bei Fremden, versuchte es mit der Schule, aber sie schmeckte mir nicht. Die Stadt war zu klein für Sonderschulen. Du verstehst, ich war ein wenig zurückgeblieben. So lief ich einfach umher, als eine Art Dorftrottel. Und das wäre ich geblieben, wenn ich mich nicht in die Wälder zurückgezogen hätte.«
»Weshalb?«
Er überlegte und sagte schließlich: »Vermutlich, weil ich in der Lebensweise der anderen keinen Sinn sehen konnte. Ich hatte mich gut umgesehen und wußte, daß es verschiedene Arten gab, das Leben anzupacken, aber keine paßte für mich. Hier draußen kann ich leben, wie es mir
Weitere Kostenlose Bücher