9 Stunden Angst
einen Experten sitzen, der sich mit dem Bau der Londoner U-Bahn auskennt. Er hält die Sprengung für möglich.«
Serina Boises Tonfall verriet, dass sie das Gespräch so schnell wie möglich beenden und keine kostbare Zeit mit einem derart haarsträubenden Plan vergeuden wollte. »Ed, es wird auf keinen Fall möglich sein, sämtliche nötigen Kalkulationen durchzuführen und die genaue Platzierung und Menge des Sprengstoffs zu ermitteln. Es geht einfach nicht, tut mir leid.«
»Ich finde trotzdem, dass wir die Sache genauer analysieren sollten.«
»Nein, Ed.«
»Warum nicht?«
»Weil wir, wie bereits gesagt, niemals grünes Licht bekommen würden, selbst wenn wir in Rekordzeit herausfinden, ob die Aktion durchführbar ist. Wir sprechen hier schließlich nicht von einer kleinen, kontrollierten Sprengung. Wir bräuchten eine Explosion, die stark genug ist, um zwei Tunnelwände sowie drei Meter Erde und Gestein wegzusprengen. Dabei könnte der ganze Tunnel einstürzen.«
»Das sehe ich ein, Serina, aber da unten sitzen mehr als dreihundert Leute fest. Wir sind es ihnen schuldig, jede auftauchende Möglichkeit genau zu prüfen, finden Sie nicht?«
»Ed, Sie sind ein großartiger Verhandlungsführer. Versuchen Sie doch bitte alles in Ihrer Macht Stehende, um wieder mit Denning in Kontakt zu treten und ihm sein Vorhaben auszureden.«
»Das tue ich bereits, aber er ist ein religiöser Psychopath. Ich habe es in seiner Stimme gehört: Dieser Kerl lässt sich auf keinen Fall allein mit psychologischer Einflussnahme aufhalten. Drastische Situationen verlangen drastische Maßnahmen.«
»Ich werde es dem Komitee vorschlagen, Ed. Sie wissen, dass ich mein Bestes gebe, aber Sie müssen verstehen, dass ich nicht einfach eine Genehmigung für dieses Himmelfahrtskommando herbeizaubern kann. Es wird nicht dazu kommen.«
Die Entscheidungsträger nahmen also lieber in Kauf, dass dieser Wahnsinnige die Insassen des Zuges umbrachte, als sich hinterher vorwerfen zu lassen, sie hätten die Geiseln durch eine höchst umstrittene Präventivmaßnahme getötet. Ed verstand das durchaus, doch akzeptieren konnte er es nicht.
Nachdem das Telefonat mit Serina Boise beendet war, wandte er sich an White und Calvert, die neben ihm an ihren Computern saßen. »Probiert bitte immer wieder, Funkkontakt mit dem Zug herzustellen. Wir müssen versuchen, mit Tommy Denning zu reden.«
12.36 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, erster Waggon
Tommy ging zwischen den beiden gegenüberliegenden Sitzreihen des Waggons auf und ab, wobei seine Stiefel geräuschvoll durchs Wasser platschten. An seiner Hand, die er gegen seine Wange presste, strömte Blut herunter, bevor es über seinen Arm lief und in das immer höher steigende Wasser auf dem Boden tropfte. George überlegte, ob er ihn ansprechen sollte, aber Denning schien tief in Gedanken versunken, eingeschlossen in eine Art Meditation oder Gebet. Zwischen seinen dahingemurmelten, unverständlichen Worten stöhnte er immer wieder auf, was an seinen großen Schmerzen liegen musste. Dass die Wunde immer noch so stark blutete, weckte in George die Hoffnung, dass der Entführer bald das Bewusstsein verlieren könnte. Der menschliche Körper enthält etwa fünf bis sechs Liter Blut, und Tommy musste bereits ein oder zwei Liter verloren haben. Falls ihn der Blutverlust nicht umbrachte, blieb George nichts anderes übrig, als einen neuen Angriff zu starten, das wusste er. Und im Gegensatz zu seinen vorherigen Versuchen musste dieser erfolgreich sein. Zum Glück hatte ihm Tommy seine letzte Attacke verziehen, weil er vor seiner Rede an die Welt in großherziger Stimmung gewesen war. Er hatte Adrenalin im Blut gehabt, alles war ganz nach Plan verlaufen. Doch jetzt hatten die Dinge eine unglückliche Wendung für ihn genommen, und er glich einem reizbaren Raubtier. Falls er wirklich vorhatte, wie in seiner Rede angekündigt, sämtliche Insassen des Zuges – sich selbst eingeschlossen – dem Tod durch Ertrinken auszusetzen, dann hielt er die qualvollen Schmerzen in seinem Gesicht sicher bereitwillig aus, bis das steigende Wasser irgendwann auch sie auslöschte.
Denning hielt seine Waffe in der linken Hand. Alle paar Minuten feuerte er einen Schuss in Richtung zweiten Waggon ab, entweder auf jemanden, dessen Verzweiflung so unerträglich geworden war, dass er den beinahe sicheren Tod vorzog und einen Fluchtversuch wagte, oder einfach wahllos durch die Fenster in den Verbindungstüren. Beide Seitentaschen
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