9 Stunden Angst
musste aber immer wieder hingucken, als Hugh seinen Gürtel um Adams Oberschenkel band und versuchte, die Blutung zu stillen. Adam verlor mehrmals kurzzeitig das Bewusstsein und wachte dann wieder auf. Maggie zog die ohnmächtigen Phasen vor, weil er dann nicht brüllte und jammerte. Seine Schreie waren hoch und schrill und passten ganz und gar nicht zu dem ruhigen, beherrschten Verhalten, das der junge Mann bisher an den Tag gelegt hatte, seinem eifrigen Bemühen, Ordnung und Moral aufrechtzuerhalten.
Die hintere Hälfte des Waggons war inzwischen leer. Die Geiseln hatten so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Entführerin gebracht. Einige der Schulmädchen weinten. Die einzige Stimme im Waggon, die nichts von dem Schrecken der Situation verriet, gehörte der jüngeren der beiden Lehrerinnen, die sich nicht von der allgemeinen Panik anstecken ließ, sondern den kleinen Mädchen vom Britischen Museum erzählte, dem Ziel des Ausflugs, zu dem sie an diesem Morgen aufgebrochen waren. Wenn man ihrer Stimme lauschte, wäre man nie darauf gekommen, dass sie alle Geiseln eines terroristischen Zugentführers waren. Ihre ruhige Aufzählung ägyptischer Schätze lenkte die Kinder von den entsetzlichen menschlichen Lauten ab, die um sie herum von Qualen und Schmerz zeugten. Falls die junge Frau Panik verspürte, gelang es ihr perfekt, diese zu unterdrücken. Aus ihrem Tonfall sprach allein der warmherzige Wunsch, die Kinder zu trösten. Eine bewundernswerte Leistung, dachte Maggie.
Die verzweifelten Schreie im Waggon waren schlimmer als alles, was Maggie je gehört hatte. Die Leute hatten jede soziale Zurückhaltung verloren und legten eine nervtötende emotionale Hemmungslosigkeit an den Tag. Die Lichter gingen flackernd aus und dann wieder an. Lange hielten sie bestimmt nicht mehr durch. Maggie war überrascht, dass die Beleuchtung überhaupt so lange funktioniert hatte. Das Wasser im Tunnel drang bereits in den Waggon ein, sickerte zwischen den Türen hindurch und stand zentimeterhoch auf dem Boden.
Im Schlusswagen ging die Entführerin ruhelos auf und ab. Maggie hörte, wie ihre Stiefel durchs Wasser platschten. Sie schien Selbstgespräche zu führen. Vielleicht betete sie. Hin und wieder schnappte Maggie ein »Jesus« oder »Gott im Himmel« auf. Die Frau befand sich also tatsächlich im Zwiegespräch mit ihrem Gott – wie auch immer sie sich diesen vorstellte.
Die Schritte der Frau kamen näher, und dann tauchte ihr Kopf plötzlich in den offenen Fenstern der Verbindungstüren auf. Die Leute kauerten sich auf den Boden und suchten verzweifelt nach Deckung, die zumeist in den Körpern anderer Passagiere bestand. Die Entführerin starrte in den fünften Waggon und begutachtete das Gemetzel, das sie angerichtet hatte. Dann lächelte sie zufrieden vor sich hin. Alles schien genau so zu sein, wie sie es haben wollte. Während die meisten Fahrgäste stumm verharrten, sprach die junge Lehrerin weiter mit den Kindern, und die Entführerin starrte in ihre Richtung und schien ebenfalls zuzuhören. Doch dann glitt ihr Blick weiter durch den Waggon, und Maggie kam der entsetzliche Gedanke, dass sie nach ihr suchte. Den Mann, dessen Bein sie mit ihrer Waffe kaltblütig amputiert hatte, schien sie hingegen überhaupt nicht wahrzunehmen. Maggies Ängste erwiesen sich als begründet: Die Frau sah ihr direkt in die Augen.
12.35 Uhr
U-Bahn-Leitstelle, St. James’s
»Ed«, sagte Laura. »Commander Boise will mit Ihnen sprechen. Ich stelle sie auf Ihr Headset durch.«
Ed blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, warum er den Anruf in der Verhandlungszelle entgegennehmen durfte. Er setzte den Kopfhörer auf und sagte: »Hier spricht Ed.«
»Ed, hier ist Serina Boise. Laura hat mir von der Möglichkeit mit der Sprengung erzählt. Mir ist klar, dass Sie dadurch mehr Zeit hätten, mit Tommy Denning zu verhandeln, aber ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass wir für so etwas jemals grünes Licht bekommen.«
»Wir müssen es zumindest versuchen.«
»Ich werde den Vorschlag natürlich nach ganz oben tragen und mit dem Komitee darüber sprechen. Eigentlich ist eine Sprengung im U-Bahn-Netz genau das, was Polizei und Sicherheitsdienste verhindern sollen. Es gibt zahlreiche Probleme zu bedenken, nicht zuletzt die Frage, ob wir die Passagiere im Zug nicht in noch größere Gefahr bringen, als es jetzt schon der Fall ist, wenn wir mit so wenig Planungs- und Bedenkzeit eine Sprengung durchführen.«
»Ich habe hier aber
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