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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
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um einen harmlosen Mitarbeiter handeln könnte, auch wenn ihn niemand über einen bevorstehenden Besuch informiert hatte. Der Mann war etwa Mitte zwanzig, und seine Haare waren genauso kurz geschoren wie die dichten dunklen Bartstoppeln, die in seinem Gesicht sprossen. Seine Augen, mit denen er George unverwandt anstarrte, waren von einem hellen, intensiven Blau und hatten so große Pupillen, dass George sich an einen Teenager auf Ecstasy erinnert fühlte.
    »Hallo, George«, sagte der Mann und stellte seine Tasche in einer Ecke der Kabine ab. Er sprach ein klares, britisches Englisch, aus dem lediglich ein Hauch London oder Südostengland herauszuhören war. Seine Stimme klang sanft, beinahe vertraulich. »Maggie und den Kindern geht es gut.« George spürte, wie Erleichterung von ihm Besitz ergriff. Der Mann gehörte zu einem Sondereinsatzkommando, vielleicht zum SAS ! Man hatte die Täter unschädlich gemacht, und jetzt war er hier, um Entwarnung zu geben. Gleich würde alles vorbei sein, und dann konnte George seine Geschichte vielleicht sogar an eine Zeitung oder das Fernsehen verkaufen. Aber die Worte, die der Mann als Nächstes sagte, machten jede Hoffnung zunichte: »Und das wird auch so bleiben, vorausgesetzt, Sie halten sich genauestens an meine Anweisungen.«
    »Was soll das alles?«, fragte George.
    »Seien Sie einfach still und machen Sie weiterhin Ihre Arbeit, dann kommen wir beide wunderbar miteinander aus.«
    George musterte den Mann verstohlen. Dieser war fast einen Kopf kleiner als er. Vielleicht gelang es ihm ja, ihn zu überwältigen. Andererseits hatte der Bursche einen geschmeidigen, drahtigen Körperbau, der auf ungeahnte Kräfte hinwies, und war rund fünfzehn Jahre jünger als George.
    »Ich muss wissen, was das alles soll«, wiederholte George und legte möglichst viel Autorität in seine Stimme.
    »Warum?«, fragte sein Gegenüber mit einem Lächeln.
    »Weil ich die Verantwortung für diesen Zug und sämtliche darin befindlichen Fahrgäste trage.«
    »Gut.« Der Mann lächelte immer noch. »Dann schlage ich vor, dass Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden und weiter Ihre Arbeit tun.«
    »Was wollen Sie?« George konnte nicht verhindern, dass sich eine Spur von Verzweiflung in seine Stimme schlich.
    Das Lächeln erlosch. »Ich will, dass Sie Ihrer Frau und Ihren Kindern Gelegenheit geben, den heutigen Tag zu überleben. Falls Sie versuchen, mich von meinem Vorhaben abzuhalten, besteht wenig Aussicht darauf. Glauben Sie mir, George: Wenn Sie auch nur versuchen, mich aufzuhalten, wird Ihre Familie sterben. Haben wir uns verstanden?«
    »Ja, aber …«
    »Schhhhhhhhhh«, machte der Mann beruhigend, wie ein Vater, der sein Baby in den Schlaf wiegt.
    »Nächster Halt: South Wimbledon«, verkündete die automatische Lautsprecheransage Complete Electronic Line Information Announcer , kurz CELIA genannt, die in alle Waggons übertragen wurde. Der Zug fuhr in die Station ein, und George entdeckte am hinteren Ende des Bahnsteigs eine Gruppe Schulmädchen, die sich inmitten der Berufspendler dicht zusammendrängten und nicht älter als sieben oder acht Jahre alt sein konnten. Alle trugen die gleiche Schuluniform aus blauen Blazern, rosa Kleidern und Strohhüten. Nachdem der Zug zum Stehen gekommen war und George die Türen geöffnet hatte, waren die aufgeregten Stimmen der kleinen Mädchen zu hören, die von ihren gestressten Lehrerinnen an Bord des Zuges gescheucht wurden.
    »Dieser Zug fährt über Charing Cross nach Mill Hill East«, gab CELIA bekannt.
    Auf dem Bahnsteig erfolgte ebenfalls gerade eine Lautsprecherdurchsage: »Bitte beachten Sie, dass momentan keine Northern-Line-Züge über die Station Bank fahren. Fahrgäste werden daher gebeten, den nächsten Zug Richtung Zentrum zu nehmen und gegebenenfalls umzusteigen.« Nach dieser Information betraten auch jene Reisenden die U-Bahn, die normalerweise auf einen Zug mit der Aufschrift »via Bank« gewartet hätten. Der Bahnsteig blieb fast vollkommen leer zurück. George schloss die Türen, warf einen Blick auf die Kontrollleuchte und drückte den Gashebel, woraufhin der Zug ratternd im Tunnel verschwand.
    Sein Bedürfnis, endlich zu erfahren, was hier vor sich ging, ließ sich nicht länger unterdrücken.
    »Kann ich Sie etwas fragen?«
    »Sieht so aus, als hätten Sie das bereits getan.«
    »Warum ich?«
    »Na los, weiter.«
    »Das war’s schon. Ich will einfach nur wissen: Warum ich?«
    »Und ich will, dass Sie alle Fragen stellen, die Ihnen

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