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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
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Louisa sah trotzdem genauso frisch und duftend aus wie immer, während George förmlich spürte, wie sich Schweißtropfen auf seinem ganzen Oberkörper bildeten.
    Gemeinsam gingen sie die Treppe hoch und betraten das Depot durch den Haupteingang. Georges Gespräche mit Louisa folgten normalerweise einem immer gleichen Muster: Er erzählte ihr eine Anekdote oder einen Witz und versuchte, sie zum Lachen zu bringen. Daran war jetzt natürlich nicht zu denken, aber irgendetwas musste er sagen.
    »Schon wieder so ein heißer Tag.« Etwas Originelleres fiel ihm beim besten Willen nicht ein.
    Bevor sie antworten konnte, kam ihnen Neville auf dem Flur entgegen, ein großer, etwas rüpelhafter Kollege von George, der stolz auf seinen respektlosen schottischen Humor war. George und Neville waren befreundet und gingen manchmal nach der Arbeit zusammen ein Bier trinken.
    »Georgie-Boy! Endlich auf dem neuesten Stand der Technik angekommen, wie ich sehe!«, rief Neville mit breitem Grinsen und zeigte auf das kabellose Headset an Georges Ohr. Erst kürzlich hatte er ihn wieder damit aufgezogen, wie vorsintflutlich sein Handy war.
    »Ja, ich dachte, es ist an der Zeit.«
    »Lass mich mal sehen.« Neville streckte die Hand aus.
    »Neville, ich bin gerade mitten im Gespräch.«
    Sofort ging ihm auf, wie bescheuert diese Ausrede für Louisa klingen musste, schließlich hatten sie gerade gemeinsam den ganzen Parkplatz überquert, ohne dass George etwas von einem Telefongespräch gesagt hatte. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarrte, und sie drehte sich verwirrt zu ihm um.
    »Stell dich nicht so an!«, protestierte Neville. »Du kannst doch trotzdem weiterreden. Ich will mir nur mal das Headset ansehen.« Wieder streckte er die Hand nach dem Handy aus.
    »Lass es verdammt noch mal einfach bleiben!«
    George war klar, wie befremdlich seine Reaktion auf Menschen wirken musste, die nichts von seiner verzweifelten Lage ahnten. Louisa sah ihn bestürzt an und murmelte ein schnelles »Wir sehen uns später«, bevor sie davonhuschte.
    Neville hob überrascht die Augenbrauen.
    »Tut mir leid, Nev, aber ich telefoniere wirklich gerade, okay?« George drängte sich an ihm vorbei und ließ ihn stehen.
    Als er sich beim Dienstleiter meldete, einem rundlichen Mann mit rosigem Gesicht, dessen Hemd bereits durchgeschwitzt war, erfuhr er, dass die Innenstadtstrecke der Northern Line gerade wegen eines »sicherheitsrelevanten Zwischenfalls« gesperrt worden sei. Unter normalen Umständen hätte diese vage Formulierung Georges Neugier geweckt, denn so etwas sagten vielleicht die jeweiligen Stationsansager über Lautsprecher zu den Fahrgästen, während ein Dienstleiter seinen Fahrern gegenüber meist deutlicher wurde. Aber George hatte im Moment ganz andere Sorgen.
    Er ging zu seinem Zug, der die Nummer 037 hatte und in der Haltebucht 12 des Depots stand. Das Handy war inzwischen glitschig vor Schweiß, und er ließ es langsam in seine Hemdtasche gleiten, wobei er darauf achtete, keine Knöpfe oder Tasten zu berühren. Erleichtert stellte er fest, dass er immer noch das Rauschen der offenen Leitung im Ohr hörte.
    »Sie wollen wissen, um wie viel Uhr du in Morden losfährst«, erklang plötzlich Maggies Stimme.
    »Um acht Uhr siebzehn.«
    »Okay.«
    Im Führerhaus hängte George Tasche und Jacke an einen Haken und vergewisserte sich, dass die Heizung ausgestellt war, die er bei dieser Hitze nun wirklich nicht gebrauchen konnte. Dann überprüfte er die Lichtanlage und änderte das Fahrziel auf der Anzeige in »Mill Hill East via Charing Cross«. Diese Schritte hatte er schon so oft durchgeführt, dass er sie im Schlaf beherrschte. Als Nächstes kontrollierte er die Lautsprecheranlage, vergewisserte sich, dass die Beleuchtung im Inneren der U-Bahn-Waggons brannte, und checkte alle Wechselstromgeneratoren und Sicherungen und setzte sie wieder zurück. Als er den Funk einschaltete, hörte er den keuchenden Husten des Weichenstellers, der die Züge aus dem Depot lotste.
    George kontrollierte Scheibenwischer, Warnpfeife, Luftdruckmesser und Bremsen. Nachdem er geprüft hatte, ob das Zugortungssystem fehlerlos arbeitete, führte er einen Scheinwerfertest und eine Traktionskontrolle durch und checkte Heiz- und Belüftungssystem, Türen und Fahrgastalarm. Ihm blieben noch ein paar Minuten, bis er aufgerufen wurde, also schlenderte er durch die sechs Waggons des Zuges und sah nach, ob alles so war, wie es sein sollte.
    Eine Gruppe von Wartungstechnikern

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