90 Tage auf Bewaehrung
eins rief die fehlende, nervende Freundin an. »Süße, ich schaff’s jetzt wirklich nicht«, hüstelte sie ins Telefon. Ich antwortete besorgt: »Oje, ist was passiert? Bist du krank?« »Ach nö, wir hatten’s uns nur gerade ein bisschen sehr schön gemacht, wenn du verstehst, was ich meine..., deshalb klingt meine Stimme vielleicht etwas rauer… Gratulier deiner Mama mal von mir. Wir sehen uns nächstes Jahr!« Ich war nur noch sauer: Statt zu meiner Mutter zu kommen, ließ sie ihn kommen! Geschmacklos.
Natürlich machte ich daraus ein Tisch-Thema! Alle sollten teilhaben an meiner Entrüstung! Komischerweise war ich die Einzige, die schnauzte. Alle anderen guckten in die Luft oder sortierten die Brotkrumen auf dem Tisch. Bis Ronja meinte. »Schatz, wir wundern uns auch alle, dass du uns eingeladen hast! Dass du noch unsere Adressen und
Telefonnummern hast. Du bist doch auch seit Wochen nicht mehr zu erreichen.«
Tatsächlich. Wenn ich darüber nachdachte, lebte ich seit vier Wochen in einem Paralleluniversum. Ich schob alle Termine beiseite, organisierte mich komplett um, sagte alle lange im Voraus getroffenen Verabredungen mit Freundinnen ab und freute mich, mit ihm alleine zu sein. Ich wollte nur das. Mit ihm reden, essen, lachen und viele andere schöne Dinge tun, die der kleinen Kim’ne Menge Freude und Spiel, Spaß und Spannung brachten. Selbstverständlich auch Entspannung.
Sprich - ich hatte im Grunde für niemanden mehr wirklich Zeit. Weder für meine Mutter noch für meine engsten Freundinnen Kerstin, Ronja, Jörg und Sabrina. Die einzige Ausnahme war meine Analytikerin Frau S. Für sie hatte ich Zeit, doch auch dort war er zwar nicht körperlich anwesend, aber Hauptgesprächsthema. Nein, er war das einzige Thema. Was auch viel Schönes hatte.
Ich war erschrocken. In erster Linie über mich. War ich nicht diejenige, die immer den Stab gebrochen hatte über die Plötzlich-Wir-Sagerinnen? Also Frauen, die nach langen Single-Jahren einen Partner haben und dann nur noch im Plural reden, denken, auftauchen. Entsetzlich. Und jetzt war ich auch so eine! Und das Schlimmste: ALLE meine Freunde hatten sich längst darüber ausgetauscht. Sie redeten, diskutierten, meckerten über MICH - und ich wusste nichts davon, habe nicht mal was gemerkt. Wie fies bin ich eigentlich? Wie egozentrisch, egomanisch, egoistisch, egolerräägend (für die sächsischen Leserinnen)! Pah.
Die Vereinigung meiner Freunde im Pseudoverständnis und in der unerträglichen Milde mir gegenüber machte mich wütend. Denn ich spürte ja genau, wie sauer sie im
Grunde alle auf mich waren. Sie nahmen nur Rücksicht auf den Geburtstag meiner Mutter.
Zu gerne hätten sie doch wahrscheinlich alle auf den Tisch gehauen und sich beschwert. Natürlich irgendwie mit Recht. Zum Beispiel Ronja - zurzeit Single und seit vielen Jahren meine beste Freundin. Jedes Wochenende treffen wir uns zum Frühstück, shoppen, tratschen, lachen, abends Theater, Kino. Na gut - TRAFEN uns -, denn seit vier Wochen habe ich natürlich weniger Zeit für sie. Ich spürte plötzlich, wie schwer es ihr fiel, sich auf der einen Seite zwar schon für mich zu freuen, aber auf der anderen Seite mit ihren Anflügen von Eifersucht und Verlustängsten zu kämpfen.
Für mich waren die Sonntage jetzt Paar-Tage. Ausschlafen, gemeinsam gemütlich frühstücken und Zeitung lesen, spazieren gehen, die Jahreszeiten genießen - na ja, jedenfalls freute ich mich jetzt schon auf den ersten gemeinsamen Frühling... Sonntage sind für Singles die einsamsten Tage - weil ja alle auf Familie machen. War schon immer so. Da ziehen sich alle hübsch an und gehen um die vier Ecken. Für Singles sind Sonntage so ein bisschen wie die Single-Tische im Robinson-Club. Da müssen sich auch die Alleinreisenden zusammenfinden, um in Gesellschaft zu sein. Und wenn jetzt die beste Freundin wegbricht, weil auch sie plötzlich auf Familie macht, bleibt natürlich für die anderen die große Leere. Vorübergehend.
Okay, das ist traurig, aber ich konnte darauf jetzt einfach keine Rücksicht nehmen, ich egoistisches Stück. Ich hatte einfach keine Zeit für meine Freundinnen. Und, wenn ich ganz ehrlich bin, auch viel mehr Lust auf ihn! Ich wollte nicht nur halb anwesend sein in den so geliebten Weiberrunden. Aber warum sprach denn keiner mit mir? Sondern alle hinter meinem Rücken über mich? Hatte ich eine Besorgnis
erregende Krankheit, über deren Zustand sich alle Gedanken machen mussten?
Die Stimmung
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