90 Tage auf Bewaehrung
aussehender, charmanter, glücklicher Bräutigam. Ich muss Ihnen natürlich nicht sagen, dass das die Party des Jahrhunderts wäre... (Oh mein Gott, bitte, bitte - erzählen Sie ihm das nie!)
Aber wie war es denn nun wirklich? Was wusste ich eigentlich von ihm? Ich kannte ja nicht mal seine Festnetznummer. Seine Familie auch noch nicht. Natürlich wusste ich, wie er lacht, redet, denkt und fühlt, aber reichte das für ein Leben? Wenn ich ehrlich bin, hatte ich ihn meinen Eltern auch noch nicht vorgestellt. Ich ließ meine Freunde noch wie ein Löwenbändiger seine Tiere erst mal vorsichtshalber im Käfig (stellen Sie sich vor, die beste Freundin fände an ihm einen Kritikpunkt!), und er kannte meine tiefen Geheimnisse nicht. Dazu zählten mein Kontostand, die Handyrechnung, meine Kosmetiktermine, meine
Angst vorm Fliegen, die Tatsache, dass ich am liebsten mit dicken Socken ins Bett gehe, dabei fünf verschiedene Cremes allein im Gesicht habe und gerne mit dem Fernseher im Bett einschlafe. Ich bevorzuge dabei die »Golden Girls«. Und wenn ich mir vorstellte, dass es bei ihm eine ähnliche Ansammlung an »dunklen« Flecken in seiner Vita gab, hatten wir an diesem Punkt unserer Beziehung noch einiges aufzuarbeiten, bevor wir dann wirklich heiraten konnten.
Unser erstes Jubiläum war genau so, wie es sich jedes kleine Mädchen für seine Zukunft erträumt. Er kam mit einer Rose (ich will mal großzügig sein, war ja auch nur ein Monat), hielt mir die Autotür auf und entführte mich in mein Lieblingsrestaurant. Er schaute mir verliebt in die Augen, hielt meine Hand, säuselte süße Sachen in mein Ohr, und wir haben gelacht, geflirtet und waren noch verliebter als sonst... Und wir haben uns immer wieder die »Weißt-Du-noch-Geschichten« erzählt, stolz wie Bolle auf’m Milchwagen, dass wir nun endlich auch schon ein Stück gemeinsame Vergangenheit hatten.
Weißt du noch, als wir uns getroffen haben? Weißt du noch, was ich anhatte? Also ich weiß noch ganz genau, was du anhattest. Komm, erzähl noch mal, wie’s für dich war (nicht dass wir uns das nicht schon tausend Mal erzählt hatten!) Weißt du noch, wie die Kellnerin damals reagierte hat, als das Glas umfiel? Weißt du noch, wie Ella die sabbernde Dogge vom Platz gefegt hat? Natürlich wusste er. Er war ja kein Alzheimer-Patient, der vergessen hatte, was in den letzten Tagen so alles passiert war.
Aber so bekloppt dürfen auch nur Verliebte sein. Meine Analytikerin Frau S. war natürlich indirekt an diesem Jubiläum beteiligt. An vier Terminen hatte ich in den schillerndsten,
rosigsten Farben geschildert, wie toll er ist. Einzigartig, sensationell und einfach der Richtige. Komischerweise blieb sie wie immer eher neutral (wie kann man bei Liebe neutral bleiben?) und bemerkte lediglich: »Fallen Sie nicht tot um, wenn Sie plötzlich doch mal einen Fehler entdecken.« Sie ignorierte dabei komplett meine Checkliste, die ich doch schon längst abgearbeitet hatte: Er schmatzte und schnarchte nicht, verdiente sein eigenes Geld, hatte einen guten Humor, Intellekt, gute Manieren und überhaupt. Eigentlich ideale Voraussetzungen, Fehler konnte ich beim besten Willen nicht finden. (Wer hat eigentlich den Unsinn mit den rosaroten Brillen erfunden?)
Und jetzt saß ich ihm im Kerzenschein gegenüber, nahm mal für eine Sekunde die rosarote Brille ab und stellte fest: Nö, immer noch alles schön. Zeit also, ein bisschen was zu riskieren, ihm ein Stückchen mehr von mir zu geben und so aktiv an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten. Ich wusste auch genau, welches dunkle Geheimnis das erste auf meiner Liste sein würde, das ich preisgab. »Duhu, meine Handyrechnung betrug 250 Euro letzten Monat...«
TIPP
Merken Sie sich den Ablauf dieses ersten Jubiläums ganz genau. Brennen Sie sich jede Einzelheit ins Gehirn und erwarten Sie auch für die Zukunft Ähnliches. Setzen Sie Maßstäbe für Ihre nächsten Jubiläen. Wenn bereits jetzt das Feuer nicht so richtig brennt, die Ideen mager sind und der Spaß dürftig, können Sie eigentlich sicher sein, dass er den zweiten Hochzeitstag schon vergessen wird und ohne seine Sekretärin auch an Ihren Geburtstag nie wieder denkt. Aber vielleicht können Sie damit ja leben und locker umgehen,
weil Ihnen selber kleine Rituale nicht so wichtig sind. Oder Sie machen sich für den Rest Ihrer Beziehung einen Spaß daraus, ihn mit schöner Regelmäßigkeit daran zu erinnern...
2. Monat
Die Rechnung, bitte
Ich bin ja so selbstbewusst.
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