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90 Tage auf Bewaehrung

Titel: 90 Tage auf Bewaehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Fisher
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Füßen aufwärts über die Bronchien an sämtlichen Gliedern vorbei Richtung Kopf marschieren. Ich sah vor meinem geistigen Auge ganze Armeen von Bazillen und war verwirrt, dass der Leinwandheld gerade die Hauptdarstellerin küsste. Die waren doch eben noch Geschwister und stritten sich ums Erbe?! Mein Gehirn versagte.
    Oh Gott, ich brauchte heute noch Antibiotika, oder vielleicht musste ich auch gleich in die Lungenklinik! Wie lange ging denn dieser Film noch? Ich konnte nur unter größter körperlicher Anstrengung den Hustenreiz unterdrücken. Ich wollte ja die anderen nicht stören. Sie konnten ja auch nichts dafür. Jetzt war mein Kopf auch schon ganz heiß.
    Plötzlich gingen die Lichter an, und ich wusste nicht, wie ich mich aus meinem Sitz schälen sollte. Mein Schädel schmerzte, die Ohren sausten, ich hatte 100 Grad Fieber und wahrscheinlich ganz schlimme Tuberkulose. Mein Liebster fragte: »Wie fandste denn den Film?«

    Film? Welcher Film? Ich sterbe, Schatz! Ich fühlte mich wie die Kameliendame. Zum Glück tropfte noch kein Blut aus meinem Mund! Ich überlegte, ob ich Abschied nehmen sollte von ihm. »We had joy, we had fun, we had seasons in the sun...« Himmelsmusik. Das geht ja schnell, wenn das Ende naht.
    Ronja war schon immer scharf auf meine Hippiekettensammlung - sollte ich ihr die noch schnell vorbeibringen? Und Sabrina konnte ich eigentlich meine Selbsthilfe-Ratgeber-Bücher vermachen. Kerstin kriegt die Klamotten, und ihre Kinder können sich den Rest teilen. Mir fiel Ella ein. Oh mein Gott, ich musste ein neues, gutes Zuhause für mein Mopsmädchen finden... Und was würde aus meinem Liebsten? Ich musste ihn freigeben für eine andere …
    »Süüüüße, jetzt kennen wir alle Details der Stabliste des Films. Du hast ja den kompletten Abspann angestarrt. Können wir jetzt gehen?« Ich war zu schwach, um aufzustehen. »Komm, wir gehen einen Burger essen, ich hab Hunger.« Gut, den konnte ich ja in dieser Welt noch mitnehmen...
    Erstaunlicherweise habe ich diese Nacht überlebt, aber der Morgen war schrecklich. Ich sehe aus wie Muhammad Ali nach seinem schlimmsten Kampf, meine Nase war so zu wie die Berliner Mauer in den Zeiten des Kalten Krieges, und ich zitterte wie Wackelpudding. Ich war echt krank. Mein Liebster musste mir jetzt das Leben retten. Er war Robin Hood. Er war genauso gut, wie ich es befürchtet hatte. Er ging zur Apotheke, er kaufte Obst, Gemüse und Tütensuppe. Und das alles für mich! Endlich konnte er auch diese Seite in sich ausleben. Die starke Frau war schwach, klein, schutzlos, empfindsam. Ich weinte.
    Meine Mutter rief an und wollte kommen. »Nein!«, schrie ich unter Aufbringung meiner letzten Kraftreserven ins
Telefon. »Mama, lass mal. Ich bin gut versorgt.« Sie wurde etwas entspannter, denn in den letzten 35 Jahren war sie ja für meine Versorgung im Krankheitsfall zuständig. Und sie musste mir immer eine Flasche Rotbäckchensaft mitbringen, ein Bussi-Bär-Heftchen (die Dinger gibt es wirklich noch - selten, aber manche gut sortieren Kinderbuchläden haben sie!) und eine TKKG-Kassette (Tarzan, Karl, Klößchen und Gabi - das sind Kinderdetektive).
    Frau S., meine Analytikerin, findet das alles mit Sicherheit ganz erschreckend. Deshalb werde ich diesen Punkt meiner Persönlichkeit nicht zum Gegenstand unserer nächsten Gesprächsrunde machen. Ich bin ja nicht blöd.
    Aber krank. Immer noch. Mein Liebster schleppte die Einkaufstüten in die Küche, presste frischen Orangensaft mit einem Spritzer Zitrone und bereitete das Süppchen vor. Bis jetzt fand ich das alles toll. Aber als er anfing, mir Wadenwickel zu machen, das Inhalationsbad vorzubereiten (Sie wissen: Danach sieht man immer schrecklich aus - rot, aufgedunsen, strähniges Haar!) und Zwiebeln zu schneiden, die ich in Säckchen gefüllt dann an mein schmerzendes Ohr halten sollte, kriegte ich plötzlich Panik. Waren wir denn schon so weit, dass ich ihm meinen komplett desolaten Zustand ohne Wimperntusche und seeliges Grinsen, ohne Dusche und Parfum präsentieren konnte? Ich war sehr unsicher und fühlte mich extrem unsexy. Wie sollte er jemals wieder voller Leidenschaft über mich herfallen können, wenn er doch diese üblen Bilder im Kopf hat?
    Ein Wunder musste her - am besten eine Wunderheilung. Und, ehrlich gesagt, soooo schlecht ging’s mir eigentlich gar nicht mehr. Ich konnte ja mal versuchen, zwei Aspirin zu schlucken. Vielleicht blieben die ja in mir! Es klappte. Ich
schluckte und musste mich

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