90 Tage auf Bewaehrung
ihr einen Mörderblick zu. Wenn sie meine Tochter wäre, hätte ich in diesem Augenblick Unterlagen sämtlicher Internate angefordert. Na, das konnte ja heiter werden.
Mir war durchaus klar, dass der Abend einige Brisanz enthielt. Grundsätzlich sind beste Freundinnen für Männer von Natur aus ein großes Mysterium. Sie wissen, dass die Freundinnen wiederum alles wissen. Über seine Ängste, seine Fusseln zwischen den Zehen, den Zustand des Haarwuchses auf dem Rücken (oder auch nicht!), seine Mutter, seine Arbeit, seine Wohnung, seine Probleme und natürlich haargenau alle Details über die aktuelle Beziehung. Das kann
schon verunsichern. Wer wird schon gerne so durchleuchtet wie von der CIA? Man braucht nicht mal Richtmikros oder Geheimkameras - für die Verbreitung aller wichtigen Informationen sorgt die Liebste auch unaufgefordert.
Männer befürchten, dass nichts mehr geheim bleibt. Und sie haben natürlich Recht. Coole Jungs finden sich damit ab, Unentspannte müssen lernen und einsehen, dass es nie anders sein wird.
Die Zeiten haben sich für heterosexuelle Männer in Beziehungen ohnehin dramatisch verschlechtert, weil sie ihre Frau jetzt auch noch mit einem schwulen Mann teilen müssen. Was eigentlich erstaunt, denn Schwule sind ja keine direkte Gefahr. Vielmehr verunsichert sie die Tatsache, dass sich die »Schwestern« komplett in das Gefühlsleben von Frauen hineindenken können. Was für heterosexuelle Männer allein schon an ein Wunder grenzt.
Mein Liebster lehnte völlig entspannt an der Küchentür und wartete auf weitere Kommandos seiner entnervten Springmaus. Ich gab pausenlos idiotische Regieanweisungen, wer wo zu sitzen hat, in welche Schüsseln die Nudeln passten, welches Dressing für den Salat wie gemacht werden sollte und von wem, und zwischendurch zuppelte ich noch an seinem Hemdkragen, weil ich mich nicht entscheiden konnte, ob sein oberster Knopf offen oder doch lieber geschlossen sein sollte.
Trotz allem hielt ich mich für ungeheuer lässig - ist schon so’ne Sache mit der Selbstwahrnehmung. Das klappte gute zehn Minuten, bis dann Ronja kam, meine Hand nahm, mich aufs Klo zog, die Tür verriegelte, mich gewaltsam auf den Badewannenrand setzte und presste: »Atme! Atme! Atme!« Ich musste ziemlich bescheuert geguckt haben. »Du benimmst dich wie deine eigene Mutter. Was ist denn nur
los? Es ist doch nichts passiert... Du tust gerade so, als erwartest du jeden Moment eine Bombenexplosion. Schatz, wir sind’s! Deine Freunde! Deine ältesten und besten Freunde! Die dir ganz viel Liebe und Glück wünschen. Keiner will dir oder ihm was Böses. Also ATME!«
»Ja, eben. Euch meinen Liebsten vorzustellen ist der gleiche Stress für mich wie vor der Abi-Prüfungskommission. Und glaube mir, Ronja, ich weiß, wovon ich rede: Da bin ich auch beim ersten Mal durchgefallen!«
Am liebsten hätte ich jetzt ein bisschen geweint. »Jetzt fang bloß nicht an zu heulen! Es ist doch alles gut!«
»Aber ihr habt mir noch keine Zeichen gegeben, wie ihr ihn findet! Wie soll ich denn da die Spannung aushalten? Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie er sich fühlen muss!«
»Schatz, du bist vor 15 Minuten gekommen und bist seitdem am Rotieren wie ein Kuckuck bei Vollmond in einer frisch aufgezogenen Schwarzwalduhr! Wir hatten ja noch gar keine Chance zu reden. Aber sei sicher: Er sieht gut aus, ist furchtbar nett, passt toll zu dir. Du hast die richtige Wahl getroffen. Und der einzige Grund, warum er sich hier bei uns komisch fühlen könnte, bist nur du, deine Nervosität und dein Rumgezuppel an ihm. Ist ja furchtbar, wie’ne Mutter bei ihrem Frischgeschlüpften! Also: ATME! Und jetzt Schluss mit dem Kindergarten. Wir haben alle Hunger.«
»Du, warte..., ich habe da nur eine klitzekleine Frage, bevor wir zu den anderen gehen. Findest du, ich meine, äh, denkst du, äh, also sieht man was?«
»???« Sie sah mich mit großen, ratlosen Augen an. »Bist du schwanger?«
»Nein, um Gottes willen. Ich meine... Den äh..., also die äh..., die sechs Jährchen?«
»Wenn du so guckst, sind’s zwölf. Und mit jeder Minute, die du hier sitzen bleibst, wird’s ein Jährchen mehr. Jetzt hör auf zu heulen, Klemmsuse, und komm!«
Ich stand also auf, wusch mir die Hände, sah kritisch in den Spiegel, lächelte meine beste Freundin an und wollte gerade die Toilette verlassen, als es ihr rausrutschte: »Aber einen Kinderpass hat er nicht mehr, oder, Demi?« Sie rannte kreischend durch die Wohnung. Ich
Weitere Kostenlose Bücher