900 Großmütter Band 1
gebracht und hundert Kilometer weit zu einer Berghütte transportiert. Dort wurde er untergebracht, wie es einem reichen Manne gebührt. Er schlief eine vorausberechnete Anzahl von Stunden, wie er es geplant hatte, und erwachte in der Morgenfrühe. Er erwachte vor dem Antlitz der Berge.
Er trat hinaus in die scharfe Luft der Paravata (oder auch Paravath genannt) und befand sich mitten in der kleinen Stadt Bergesfuß. Er hatte einen Arrest- und Hinrichtungsbefehl in seiner Brieftasche, und er empfand eine versengende Neugier nach dieser. Welt, deren lebendige Kultur plötzlich mitten in der Entwicklung eingefroren war, und deren Bevölkerung, die Rogha (d. h. die Elite, die Ausgezeichneten), verschwunden oder fast verschwunden und von den grobschlächtigen Oganta abgelöst worden war. Und das alles hatte sich in verhältnismäßig kurzer Zeit zugetragen, so daß es fast noch in der Erinnerungsspanne der Lebenden lag.
Er befand sich auf einem Jagdausflug voller abgründiger Fährnisse: er wollte auf das Dreier-Massiv, um dort Sinek, den Katzen-Löwen, Riksino den Bären, Shasos den Adler-Kondor und Bater-Jeno, den Frosch-Menschen (oder auch Kliff-Affen; es kam auf die Übersetzung an) aufzuspüren und zu töten. Das war, wie es hieß, die gefährlichste und zugleich verlockendste Jagd der ganzen Galaxis. Und höchstwahrscheinlich würde er auf dem Dreier-Massiv den Tod finden, denn noch kein menschlicher Jäger hatte alle vier Kreaturen zur Strecke gebracht und es überlebt; ein paar Oganta-Jägern sollte es jedoch geglückt sein. Aber auf anderer Ebene suchte Garamask die Antwort auf die rätselvolle Frage: Was war mit der Rogha-Elite geschehen? Konnte man die wenigen Überlebenden nicht wieder stark machen? Konnte ihre eingefrorene Kultur nicht wieder aufgetaut werden? War es nicht möglich herauszufinden, was für eine Macht diese Oganta-Lümmel über die wenigen noch lebenden Rogha ausübten? Wie war es gekommen, daß sich diese Edlen – freiwillig, wie es hieß – denen unterworfen hatten, die doch weit unter ihnen standen?
Auf der dritten Ebene jagte Garamask nach einem Mörder: nach dem Oganta, dem Rogha, dem Tier oder dem Menschen, der Allyn getötet hatte. Allyn war ihm ein enger Freund gewesen, aber Garamask hatte erst nach dem Ereignis empfunden, wie nahe ihm Allyn wirklich gestanden hatte.
Es wurde erzählt, daß Allyn bei der gleichen Jagd von Bater-Jeno, dem Kliff-Affen oder Froschmann, getötet worden sei. Allyn war jedoch Garamask kürzlich in einem rhapsodischen Traum erschienen und hatte ihm verraten, daß dem nicht so war. Er sei, so sagte Allyn, von seinem Führer und Jagdgenossen, einem Oganta namens Ocras, getötet worden, der zwar noch lebte, aber möglicherweise nicht mehr als Oganta, sondern in einer anderen Erscheinungsform.
»Ich glaube, daß wir uns sehr nahestanden, obgleich wir nie darüber gesprochen haben. Räche mich, Garamask, und entschleiere das Geheimnis der Paravath. Ich war selbst sehr dicht daran, den Schleier zu lüften.«
»Was hast du herausgefunden, Allyn?« hatte Garamask gefragt; aber Traumgestalten scheinen manchmal schwerhörig zu sein – sie reden, aber sie hören nicht zu.
»Entdecke du es, Garamask«, hatte Allyn wiederholt, »und räche mich! Ich war so dicht daran. Er fraß sich durch meine Schädelbasis in mein Hirn und tötete mich so. Er fraß mein Hirn auf, als ich tot war.« – »Aber was hattest du herausgefunden, als du so dicht daran warst?« hatte Garamask nochmals gefragt. »Sag mir, wie weit du gekommen bist, damit ich weiß, wonach ich zu suchen habe!« – »Ich war so dicht daran, als ich starb«, sagte Allyn.
Geistererscheinungen sind wie stocktaub. Sie sprechen ihre Botschaft aus, aber sie hören nicht zu. Vielleicht haben Sie es selbst schon bemerkt.
Garamask gab nicht besonders viel auf Träume; aber er hatte sich lange nach dieser Jagd gesehnt. Er hatte eigentlich die Absicht gehabt, mit Allyn zusammen zu jagen, doch Geschäfte hatten das verhindert. Und zu der Zeit, als der Traum kam, aber erst, als er den Bericht sorgfältig studiert hatte, wußte er, wie Allyn den Tod gefunden hatte: irgend etwas hatte sich tatsächlich in seinen Schädel hineingefressen. Jetzt fragte Garamask ein bißchen herum.
»Wird Ocras mein Führer sein?« fragte er den schlaksigen Oganta, der die Jagdhütte bewirtschaftete.
»Ocras? Nein, er ist nicht mehr Führer. Er ist aus diesem Leben hinaus übersetzt worden.«
»Aber es gab doch mal einen Führer
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