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wurden Scheinwerferblenden verkauft, die dem 996er einen etwas klassischeren Auftritt bescheren sollten. In der Realität ließ diese kosmetische Operation an der Augenpartie die Entstellung noch monströser werden. Der Elfer sah aus, als hätte man ihm vorne Heinos dunkle Brille aufgesetzt. Der 996er wurde amateurhaft zur grotesken Erscheinung retouchiert.
Lagaay hatte bis auf die Scheibenlandschaft über der Schulter wenig so gelassen, wie es der Porsche-Kunde kannte – und schätzte. Der Radstand wuchs, der Wagen wurde länger und breiter – und er wurde komfortabler. Lagaay verstand die neue Form als ein virtuoses Wechselspiel von konvexen und konkaven Linien. Die Kanonenrohre, mit denen der Elfer bislang die Umwelt in den Blick genommen hatte, waren dabei eingeebnet worden. Sie assimilierten mit dem Kotflügel, ohne ihm besondere Dramatik zu verleihen. Die Konturen des Elfers zerflossen. Für machistische Elfer-Freunde waren die Kanonenrohre die Brüste ihres Lieblings und das Dekolleté des 996ers war beschämend unerotisch, fast androgyn und knabenhaft.
Die Hüften waren mit dem Rest des Autos verschwollen. Der 996er hatte etwas von einer riesigen Blase. Zur etwa selben Zeit veröffentlichte Peter Sloterdijk seine Sphären-Trilogie, die er mit den Blasen begann. Die iMacs von Apple sahen so aus, Turnschuhe von Nike, Jacken von Comme des Garçons. Vor dem Millennium bekam das Design eine kosmische Ungenauigkeit, die weich, weiß und wuchernd Ecken und Kanten verbannte. In der Architekturwurde der Biomorphismus der Metabolisten wiederentdeckt. Eigentlich hatte der 996er die Form eines kleinen Embryos.
So wie die Elfer dicker wurden, wurden es auch die Kunden. Der vom Erfolg etwas feist gewordene Geschäftsführer konnte vom Mercedes SL zum Porsche wechseln, ohne Komforteinbußen. Der österreichische Populist Jörg Haider war so ein begeisterter 996er-Fahrer, der sowohl einen dunkelblauen Targa als auch ein mittelblaues Cabrio fuhr, in denen er sich gerne fotografieren ließ. Man musste kein besonders politisch korrekter Zeitgenosse sein, um spätestens bei diesen Bildern das Gefühl zu haben, dass mit diesem Elfer etwas schieflaufe.
Der 996er hatte ein besseres Fahrwerk und eine steifere Karosserie, aber all das sah man nicht. Einige Elfer-Fans verabschiedeten sich von ihrem Lieblingssportwagen. Der Stuttgarter Architekt und Ingenieur Werner Sobek zum Beispiel. Als Fünfjähriger in der schwäbischen Provinz fuhr ihm der erste Porsche entgegen. Das war 1958. Danach war es um ihn geschehen. Mit 38 Jahren, 1991, kaufte er – vernünftig, wie er war – seinen ersten Elfer. Als er das erste Mal den Motor startete, fand er dafür nur ein Wort: »Klasse.« Sein 993er sollte der letzte Elfer werden, den er gefahren hat. Er hatte ihn sehr lange, bis ihn ein Freund gecrasht hat. Im Elfer erkannte Sobek bis dahin nicht nur Ulmer Schule und Bauhaus, sondern auch den Werkbund, dem es um die perfekte Integration von handwerklicher oder industrieller Produktionsweise, technischer Funktion und Gestaltung ging. Der Kauf eines 996ers kam für ihn nicht in Frage. »Die Sparversion mit den Spiegeleier-Lichtern war gestalterisch das absolute No-go«, erregt sich der nüchterneGestalter rückblickend. »So was kann man nicht machen.« Mit »so was« meinte Sobek nicht nur die äußere Hülle, sondern auch die fünf Rundelemente im Tacho, die auf einmal überlagert und gegenseitig verschnitten waren. »Das sind designerische Spielereien, die keinen Anspruch haben dürfen, zeitlos gültig zu sein.« Die glücklichen Jahre mit Porsche waren vorbei. Zuerst fuhr Sobek einen Maserati 3200 GT, dann einen Aston Martin Vantage.
Der Elfer hatte sein Gesicht verloren und als ob dies nicht schlimm genug wäre, hatte er sich auch noch gemein gemacht. Die größte Schmach aber war, dass der Elfer dieses Gesicht teilen musste mit seinem günstigeren kleinen Bruder, dem Boxster, der ein Jahr vor dem 996er auf den Markt gekommen war. Für Elferfreunde war der Boxster ein »Frauenauto« und dass ausgerechnet dieser schmucke Roadster dem Ur-Porsche zum Verwechseln ähnlich sehen konnte, bedeutete eine narzisstische Kränkung für die Elfer-Gemeinde. Auch beim Armaturenbrett gab es eine Verwandtschaft. Auch hier gab es eine Häresie. Die einst ziemlich imposante Rundinstrumenten-Landschaft auf fünf großen Kreisen, in deren Mitte der wuchtige Drehzahlmesser war, wurde beim Boxster zusammengeschoben und so beim 996er nahezu identisch
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