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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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Pro…«
    »Und da bin ich«, unterbrach ihn Chen und hielt eine Flasche Shaoxing-Reiswein hoch. »Das Geschenk eines Schülers an seinen Lehrer, eine allfällige Geste unter Konfuzianern.«
    »Hör nicht auf Yu«, erwiderte sie. »Es ist Zeit fürs Abendessen. Aber ihr hättet mir wirklich früher Bescheid sagen können.«
    »Ich bin hier doch kein Gast, Peiqin. Nur deshalb habe ich es gewagt, einfach so hereinzuschneien. Wir essen, was immer du vorbereitet hast.«
    »Es gibt bloß eine Schüssel Nudeln mit scharfer Acht-Köstlichkeiten-Soße«, sagte sie und warf einen Blick über die Schulter. »Seit Qinqin an der Uni ist, essen wir manchmal nur Nudeln mit einem Löffel Soße darüber.«
    »Aber die Soße hat es in sich«, unterbrach Yu seine Frau, »sie enthält Schweinefleischwürfel, getrockneten Tofu, Erdnüsse, Gurken, Krabben und was weiß ich alles.«
    »Deshalb heißt sie ja Acht-Köstlichkeiten-Soße«, bemerkte Chen grinsend. »Eine köstliche Shanghaier Spezialität!«
    »Ja, aber nicht für einen so geschätzten Gast wie dich. Das ist ein unverzeihlicher Gesichtsverlust«, jammerte Peiqin in gespielter Verzweiflung. »Trink wenigstens vorher eine Schale Drachenbrunnentee.«
    In weniger als fünf Minuten hatte Peiqin zwei kalte Vorspeisen auf den Tisch gezaubert: Tofu mit gehackten Frühlingszwiebeln und Sesamöl und ein in Streifen geschnittenes tausendjähriges Ei mit Sojasoße und gehacktem Ingwer.
    »Ein kleiner Imbiss zum Bier«, sagte sie und stellte eine Flasche Qingdao-Bier und zwei Gläser auf den Tisch.
    »Mach dir wegen mir keine Umstände, Peiqin«, bat Chen.
    »Lass sie nur«, sagte Yu und öffnete die Bierflasche mit einem lauten Plopp.
    Peiqin stellte die Soße in die Mikrowelle und gab mehrere Nudelnester in kochendes Wasser. In der Zwischenzeit verwandelte sie ein paar Eier in eine Art Rührei, das »Falsches Krebsfleisch mit Rogen« hieß.
    »Schmeckt hervorragend«, bemerkte Chen, nachdem er sich einen Löffel davon genommen hatte, kaum dass das Gericht auf dem Tisch stand. »Du musst mir das Rezept verraten.«
    »Ganz einfach. Man muss nur das Eiweiß vom Eigelb trennen. Das Eiweiß brät man zuerst an, dann das Eigelb. Dazu gibt man reichlich gehackten Ingwer, Zhenjiang-Essig und eine großzügige Prise Zucker.«
    Sie verteilte die Nudeln in Schalen und löffelte Soße darüber.
    »Laomian-Stil«, erklärte sie, während sie eine Suppe mit Kohlblättern an den Tisch brachte.
    »Eine solche Suppe habe ich seit Jahren nicht mehr gegessen«, freute sich Chen.
    »Der frische Kohl war Anfang des Jahres so billig, dass ich mehrere Körbe gekauft und ihn hier zu Hause getrocknet habe«, sagte sie und träufelte einige Tropfen Sesamöl auf die grünliche Suppe.
    »Ja, als ich noch ein Kind war, hat meine Mutter den Kohl auch zu Hause getrocknet; erst hat sie die Blätter in Wasser gekocht und dann an einem Seil aufgehängt, das quer durch unser kleines Zimmer gespannt war.«
    »Ach, da fällt mir ein, dass wir sie schon lange nicht mehr besucht haben.«
    »Macht euch um meine Mutter keine Sorgen. Für eine Frau ihres Alters geht es ihr gut.« Dann wechselte Chen das Thema. »Yu hat mir erzählt, dass du Netzbürgerin geworden bist, Peiqin.«
    »Sie ist schon vollkommen süchtig«, warf Yu ein und löffelte sich noch mehr von der scharfen Soße auf seine Nudeln. »Kaum dass sie zu Hause ist, hockt sie vor dem Computer, noch bevor sie ans Kochen oder Waschen denkt.«
    »Du bist ja andauernd mit deinen Fällen beschäftigt. Was soll ich denn machen, so allein zu Hause?«, entgegnete Peiqin, bevor sie sich an Chen wandte: »Ich habe einfach die Nase voll von unseren Zeitungen. Erst gestern habe ich über einen korrupten Parteikader gelesen. Er hat seine Strafe zweifellos verdient, aber glaubt man den zentralen Parteiorganen, so ist es immer die glorreiche Parteiführung, die solche Schändlichkeiten aufdeckt und bestraft. Über das Wie und Warum erfährt man nie etwas. Unser ehemaliger Premierminister hat den Spruch von den 99 Särgen geprägt, die er für korrupte Kader bereithält, und einen für sich – eine unmissverständliche, heroische Geste, mit der er der Korruption den Kampf ansagen will. Das hat ihm stehenden Applaus von den Delegierten des Volkskongresses eingebracht. Und was ist daraufhin passiert? Gar nichts. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer.
    Deshalb suchen die Leute im Internet nach detaillierten Informationen über korrupte Kader, die sich mästen wie Rote Ratten.

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