99 Särge: Roman (German Edition)
würde.
Doch aus irgendwelchen Gründen war an diesem Nachmittag kein Arbeiter auf der Baustelle zu sehen, und die Maschinen standen still.
Chen holte sein Mobiltelefon aus der Tasche und rief Gu an, den Direktor der New World Group.
Er brauchte nicht lange zu telefonieren, um bestätigt zu bekommen, was Wei ihm eben über Teng Jialiang, den Direktor der Green Earth Group, berichtet hatte.
Nach dem Gespräch drückte Chen aus Versehen auf den falschen Knopf und die SMS -Funktion erschien auf dem Display. Das brachte ihn auf die Idee, sich selbst eine SMS mit einigen Stichworten zu den laufenden Ermittlungen zu schicken, bevor er sie wieder vergaß. Mit der modernen Elektronik noch nicht ganz vertraut, fiel es ihm schwer, im Gehen zu tippen. Deshalb betrat er das etwas weiter östlich gelegene Donghai-Café. Seiner Erfahrungen nach war es immer nützlich, sich Notizen zu machen, wenn man seine Gedanken ordnen wollte.
Das Ostmeer genannte Café war ein Überbleibsel aus den Tagen der Kulturrevolution und wirkte im Schatten der umstehenden Wolkenkratzer ein wenig schäbig. Chen bestellte die dritte Tasse Kaffee des Nachmittags und widmete sich seiner Textbotschaft.
Teng hatte gute Gründe, Zhou zu hassen, vermutlich sogar ausreichend für einen Vergeltungsakt. Selbst wenn er persönlich nicht bei Zhous Rede zugegen gewesen war, hatte ihn vielleicht einer seiner Angestellten auf die Zigarettenschachtel aufmerksam gemacht. Die Internetjagd, die mit 95 Supreme Majesty begonnen hatte, könnte durchaus ein gezielter Racheakt gewesen sein.
Doch galt das auch nach Zhous Internierung?
Chen war nicht der Meinung, dass Teng nach dem Niedergang Zhous noch ausreichend Motive für einen Mord gehabt hatte, zumal in einem so gut bewachten Hotel. Technisch war es zwar durchaus möglich, zumal Teng Kontakte zu den Triaden pflegte. Doch wenn Teng sich seinen Rivalen wirklich vom Hals schaffen wollte, hätte er das wohl eher vor dem shuang-gui getan.
Chen speicherte den Text, trank seinen Kaffee aus und wählte im Hinausgehen Jiangs Nummer.
Er wies ihn lediglich darauf hin, dass es noch zu früh sei, um endgültige Aussagen über den Tod Zhous zu machen. Dabei erwähnte er Jiangs Statement in der Wenhui -Tageszeitung aber nicht explizit, auch Jiang mied das Thema. Weiter hatte Chen nichts zu berichten, er wollte nur in Erfahrung bringen, ob Jiang sich für den Rest des Tages im Hotel aufhalten würde.
Chen überquerte die Jiujiang Lu und nahm sich am Hintereingang des Amanda Hotels ein Taxi.
Fünf Minuten später stand er vor dem Büro der Behörde für Wohnungsbauentwicklung, das sich im Gebäude der Stadtregierung am Volksplatz befand. Eigentlich hätte er für diese kurze Strecke kein Taxi nehmen müssen, aber jemand, der zu Fuß dort ankam, wurde vielleicht vom Wachpersonal als einer der lästigen »Beschwerdeführer« am Betreten des Gebäudes gehindert.
Als er die Kontrolle durchlaufen hatte, suchte er unverzüglich das Büro von Dang, dem Stellvertretenden Direktor des Komitees für Wohnungsbauentwicklung, auf.
Auf Weis Liste der potenziellen Nutznießer von Zhous Tod stand Dang ganz oben. Er hatte bei der fraglichen Sitzung neben Zhou auf dem Podium gesessen, musste die Zigarettenschachtel also aus unmittelbarer Nähe gesehen haben. Es war nicht ungewöhnlich, dass bei innerparteilichen Machtkämpfen die Nummer zwei dafür sorgte, dass die Nummer eins zu Fall kam, um diese im Amt zu beerben.
Dang hatte also ein Motiv. Ein Alibi hatte er allerdings auch vorzuweisen; er war tagsüber bei einer Besprechung in Qingpu gewesen und hatte, laut Hotelregister, auch die Nacht dort verbracht. Aber natürlich hätte er leicht im Schutz der Dunkelheit verschwinden können, zumal er ja wusste, in welchem Hotel Zhou sich aufhielt. Außerdem konnte er einen Profikiller mit der Aufgabe betraut haben.
Auf dem Weg zu Dangs Büro kam Chen auch an Zhous Tür vorbei, die direkt nebenan lag und noch versiegelt war.
Dang war ein hochgewachsener, kräftiger Mann Anfang vierzig mit kleinen Äuglein, buschigen Augenbrauen und ungesunder roter Gesichtsfarbe. Er begrüßte Chen und kam nach dem Austausch einiger Höflichkeitsfloskeln direkt zur Sache.
»Sie sind kein Außenstehender, Genosse Oberinspektor Chen, ich brauche Sie also nicht mit der offiziellen Version zu langweilen. Zhous Rede war gut gemeint. Natürlich ist es einfach, sich über die Blase auf dem Wohnungsbausektor zu beklagen. Aber wenn diese Blase platzt, gerät die gesamte
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