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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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Suppe, stürzte sich der Gelehrte mit neuem Elan in die Vorbereitungen und bestand die Prüfung. Daher heißt diese Art der Zubereitung ›Über die Brücke‹.«
    »Das ist ja hochinteressant«, Chen nickte, er kannte die Geschichte natürlich längst.
    »Und ich habe eine eigene Variante entwickelt. Ich gebe die Zutaten nicht gleich auf die Nudeln, sondern der Gast kann das nach Belieben selbst tun.«
    »Gute Idee«, sagte Chen und zog ein Päckchen Zigaretten heraus.
    »Oh, das sind ja Panda«, kommentierte der Straßenhändler, also bot Chen ihm eine an.
    Er wollte mit dem Mann ins Gespräch kommen oder zumindest eine Weile ruhig hier sitzen und die Situation beobachten. Eine Schale Nudeln allein würde ihm dazu nicht genügend Zeit bieten, wohl aber eine Flasche Bier.
    »Machen Sie ein gutes Geschäft hier?«, erkundigte sich Chen, während er sich gemächlich einschenkte.
    »Nicht um diese Tageszeit, aber in der Mittagspause kommen Journalisten von gegenüber zum Essen. Später holen die Eltern dann ihre Kleinen vom Kindergarten ab. Diese reichen Eltern mit ihren schweren Schlitten essen natürlich nicht bei mir, aber ihre Chauffeure und Kindermädchen.«
    »Verstehe. Die gebratene Ente ist frisch und schmeckt ausgezeichnet. Am liebsten würde ich eine zweite Portion essen, aber leider bin ich schon satt.« Das Kompliment war ernst gemeint. Die Entenstreifen schmeckten köstlich, das Fleisch war saftig, die Haut knusprig. Sie lagen nicht auf den Nudeln, sondern waren ihm auf einem separaten weißen Tellerchen serviert worden, wo sie mit ihrer rostroten Farbe einen lebhaften Kontrast zu den grünen Gemüsen in der Suppe bildeten. »Sind Sie den ganzen Tag hier?«
    »Von sieben Uhr morgens bis acht oder neun am Abend. Ich wohne in einer der Seitengassen. Meine Frau richtet die Beilagen her und bringt mir alle zwei, drei Stunden neuen Nachschub. Alles ganz frisch. Diese jungen Journalistinnen sind ja so pingelig. Wenn denen was nicht passt, kommen sie kein zweites Mal.«
    Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Stelle versammelt, wo der Unfall geschehen war. Sie deuteten aufgeregt hierhin und dorthin, redeten miteinander und machten Fotos. Entweder waren es Journalisten oder Polizeibeamte in Zivil. Chen wandte sich an den Standbesitzer.
    »Was machen die Leute denn da?«
    »Gestern gab es hier einen Unfall mit Fahrerflucht.«
    »Hier?«
    »Ja, ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
    »Nein, wirklich? Erzählen Sie mir mehr darüber, und bitte noch eine Flasche Qingdao-Bier.«
    Der Standbesitzer musterte ihn erstaunt – vermutlich sah er in Chen einen dieser exzentrischen Geldsäcke, die sich an einem Nudelstand zum Plaudern niederließen, Panda-Zigaretten herumreichten und nichts dagegen hatten, zwanzig Yuan für ein Bier hinzublättern. Er brachte die nächste Flasche und öffnete sie geschickt an der Tischkante.
    »Kurz nach Mittag ist es passiert, ich erinnere mich noch genau. Es war ziemlich ruhig in der Straße. Auf einmal hörte ich, wie ein Wagen angelassen wurde und auf uns zugerast kam. Ein brauner SUV . Und dann hat er den Mann an der Kreuzung erfasst …«
    »Moment«, unterbrach ihn Chen. »Der Mann stand auf der Seite des Wenxin-Gebäudes?«
    »Ja, der Fahrer war eindeutig schuld. Der muss vollkommen besoffen gewesen sein.«
    »Und er hat nicht angehalten?«
    »Er hat den Wagen kurz verlangsamt und aus dem Fenster geschaut. Als er sah, dass dem Mann nicht mehr zu helfen war, ist er auf und davon.«
    »Dann kann der Fahrer ja nicht völlig betrunken gewesen sein.«
    »Jetzt, wo Sie’s sagen, fällt mir noch etwas Sonderbares ein. Der braune Wagen parkte nicht weit entfernt, keine hundert Meter von hier. Es war kein anderes Auto in der Nähe, da bin ich mir sicher. Ich weiß nicht, wie lange der Wagen dort stand, aber ein paar Stunden dürften es schon gewesen sein. Zum ersten Mal ist er mir aufgefallen, als ich gegen halb elf eine kleine Pause eingelegt habe. Ein teurer SUV . Der Fahrer schien vor sich hin zu dösen. Wie konnte er volltrunken sein, wenn er stundenlang geschlafen hat?«
    Die Ankunft weiterer Gäste, eine Gruppe junger Leute, unterbrach das Gespräch.
    Chen nahm sechzig Yuan aus seiner Geldbörse. »Das Wechselgeld können Sie behalten. Die Nudeln waren hervorragend.«
    »Ich heiße Xiahou, Sie finden mich hier sieben Tage die Woche.«
    »Danke.«
    Als er sich dem Unfallort an der Straßenecke näherte, wählte er die Nummer von Parteisekretär Li. Er musste seinem Vorgesetzten

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