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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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stellen können.«
    »Können Sie mir mehr über ihn erzählen?«
    »Nicht sofort. Da muss ich erst ein bisschen herumtelefonieren.«
    »Das wäre großartig. Ich danke Ihnen schon im Voraus, Lianping.«
    Als Nächstes versuchte Chen, Hauptwachtmeister Yu zu erreichen, aber der war mit Kollegen zum Essen gegangen. Chen hinterließ seinem langjährigen Partner die Anweisung, dass die Sonderkommission in Abwesenheit des Oberinspektors keine neuen Fälle übernehmen solle. Ein ungewöhnliches Ansinnen. Er zweifelte nicht an Yus Kompetenz, sondern wollte sicherstellen, dass die Vorwürfe gegen den Künstler Ai nicht zu einem Fall für sie wurden.
    Als der Zeitpunkt der lästigen Routinesitzung näher rückte, schlich Chen sich aus dem Präsidium. Seine Beraterfunktion lieferte ihm zumindest eine gute Ausrede.
    Er nahm auch nicht den Dienstwagen, sondern stieg an der Ecke Yan’an und Sichuan Lu in die Nummer 71, die wie immer überfüllt war. Der Bus kämpfte sich geduldig durch den stockenden Verkehr, und Chen, der, in seine Gedanken vertieft, nicht auf die Haltestellen achtete, vergaß prompt, an der Shaanxi Lu auszusteigen, und fuhr eine Station zu weit. Das brachte ihn auf die Idee, bis zum Ostchina-Hospital weiterzufahren, wo seine Mutter sich von einem leichten Schlaganfall erholte.
    Seit Wochen war sie dort, und es war unverzeihlich, dass er sie so selten besuchte. Schwitzend stand er in dem überfüllten Bus und wurde durch ein heftiges Bremsmanöver gegen eine dicke Frau geschleudert.
    Er war seit Tagen nicht bei seiner Mutter gewesen, und obgleich sie am Telefon immer wieder versicherte, es gehe ihr gut, hatte er ein schlechtes Gewissen.
    Das Ostchina-Hospital lag an der westlichen Yan’an Lu in einem großen Anwesen, das sich hinter hohen Mauern verbarg. Es war ein bestens ausgestattetes Krankenhaus für ranghohe Parteikader und bot seinen Patienten optimale Sicherheit und Privatsphäre. Dort wurden vorwiegend Funktionäre behandelt, allesamt von höherem Rang als der Oberinspektor.
    Die Privatstation, auf der seine Mutter lag, befand sich im dritten Stock eines Gebäudes im europäischen Stil. In dem mit Teppichen ausgelegten Treppenhaus nickte ihm ein älterer Mann in weißem Hemd und olivgrüner Militärhose förmlich zu – eine Geste wie aus einem alten Film. Chen kannte ihn nicht, grüßte aber zurück.
    Als er sanft an ihre Tür klopfte, war er sich sehr wohl bewusst, dass seine Mutter nicht aufgrund der Position ihres Sohnes hier lag, dazu war er bei weitem nicht einflussreich genug. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und die Nachmittagssonne flutete durch die Fenster des Korridors. Als keine Antwort kam, wartete er noch einen Moment, dann drückte er die Tür vorsichtig auf. Seine Mutter war allein und hielt ihr Mittagsschläfchen.
    Leise zog er einen Stuhl an ihr Bett und betrachtete die schlafende Gestalt. Sanft berührte er ihre Hand.
    Wer sagt, dass die Pracht / eines Grashalms genügt / um die großzügige Wärme / der stets wiederkehrenden Frühlingssonne / zurückzurufen?
    Es waren berühmte Zeilen des Tang-Dichters Meng Jiao aus dem 8. Jahrhundert, in denen er die Mutterliebe mit dem stets wiederkehrenden Frühlingssonnenschein verglich. Der Oberinspektor verlor sich in Erinnerungen …
    Eine junge Krankenschwester kam vorbei und steckte den Kopf durch die Tür. Als sie Chen am Bett seiner Mutter sitzen sah, lächelte sie ihm zu und wehte davon wie eine Frühsommerbrise.
    Das Zimmer war hell, sauber und hatte ein Fenster, das zu dem gepflegten Park hinausging. Hier hatte es seine Mutter viel besser als in dem engen Altstadtviertel, in dem sie wohnte. Es wäre gut, wenn sie noch ein bisschen länger bleiben könnte, dachte Chen.
    Dann fiel sein Blick auf das mit Geschenken überhäufte Nachtkästchen: Schwalbennester, Ginseng, biodynamische Mu-Err-Pilze, Gelée Royale … Zu seiner Überraschung entdeckte er sogar eine Flasche haijie -Eidechsenessenz, die nach der Theorie der Traditionellen Chinesischen Medizin das Yang im Körper unterstützte. Er fragte sich allerdings, ob das für eine alte Dame in ihrer Verfassung das Richtige war. Vermutlich stammten diese Stärkungsmittel von dem Überseechinesen Lu oder von Gu, dem Bauunternehmer, beide bedachten seine Mutter gern mit solch kostspieligen Aufmerksamkeiten. Sie hatten es nicht einmal für nötig befunden, ihn von ihren Besuchen bei seiner Mutter in Kenntnis zu setzen.
    Im atemberaubenden Drama der Wirtschaftsreform Chinas waren beide

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