999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
verscheucht, als er sich Innozenz näherte, um ihm den Ring zu küssen.
Als sie alleine waren, drehte sich Rodrigo Borgia mit einem ironischen Lächeln zu Innozenz um.
»Ihr seid ein überaus strenger Vater.«
»Ihr kennt Fränzchen nicht. Ich habe ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, beim Geld.«
»Gewiss. Nun ist aber unser Vorhaben, Benivieni zu benutzen, um Graf Mirandola anzulocken, gescheitert. Wahrscheinlich war er es sogar, der die Flucht seines teuren Freundes geplant hat.«
»Ihr meint, er hat es gewagt, hierherzukommen?«
»Das vielleicht nicht. Aber bei seinem Vermögen kann er es sich erlauben, jeden zu kaufen. Oder ist vielleicht sogar Fränzchen in die Angelegenheit verwickelt?«
Innozenz sprang von seinem Stuhl auf.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, rief er aufgebracht.
»Irgendwie müssen wir den jungen Pico herbeilocken. Am besten, Ihr verfasst einen Erlass, in dem Ihr sowohl ihn als auch seine Thesen verurteilt und gleichzeitig verlauten lasst, dass Ihr bereit seid, ihm eine öffentliche Widerrufung seiner Thesen zu gewähren. Und ladet ihn nach Rom ein.«
»Darauf wird er nicht hereinfallen. Er wird sich denken können, dass wir seine Thesen, ich meine die anderen, die, die viel gefährlicher für ihn und uns sind – bereits gefunden haben.«
»Versuchen wir es trotzdem. Erinnert Euch, dass er nicht die leiseste Vorstellung hat, wie nah er der Wahrheit gekommen ist. Und weil von unserer Seite aus bislang nichts passiert ist, denkt er sich vielleicht, dass ihm sein Versuch, seine Thesen zu beschützen, gelungen ist. Er weiß, dass er ein überaus fähiger Alchimist ist.«
»Ich würde ihn aus dem Weg räumen und Schluss. Ohne viel Aufhebens.«
»Um die Fliege zu fangen, müssen wir Honig auslegen, sonst wird ihn sein Instinkt von uns fernhalten!«
»Schon gut, schon gut. Ich lasse die Verurteilung schreiben. Und dann werden wir ja sehen, was geschieht.«
»In der Zwischenzeit müssen wir uns wappnen. Wir müssen so schnell wie möglich die Verbreitung des Malleus Maleficarum dieser fanatischen Deutschen vorantreiben. Dann haben wir einen Sündenbock, nämlich die Frauen. Wenn das Volk glaubt, sie seien der Ursprung allen Übels auf Erden, sind wir auf der sicheren Seite. Versteht Ihr mich, Innozenz?«
Dem Papst lief der Schweiß herunter.
»Ja, ja, ich weiß schon. Mir wurde gesagt, dass der Malleus in wenigen Tagen fertig sein wird. Der jüdische Buchdrucker scheint gute Arbeit geleistet zu haben.«
»Jeder Inquisitor, jede Papstbulle muss den Text enthalten. In der Zwischenzeit vermehren wir die Scheiterhaufen. Ich brauche mehr Hexen. Das nächste Mal will ich zehn.«
»Zehn?«
»Versteht Ihr nicht? Das Volk will das so! Rom, Italien und ganz Europa müssen brennen. Zehn? Nein, zehntausend. Zehntausend Frauen, die wegen Gotteslästerung, Hexerei und Wollust verurteilt werden, sind eine zu große Zahl, als dass die Weiber weiterhin glaubwürdig und anbetungswürdig sind – nicht einmal mehr die da oben, die der Ursprung von allem ist.«
Rodrigo Borgia stand zufrieden auf: Er spürte, wie die Macht durch seine Adern floss. Seine Strategien würden den Sieg davontragen – und im richtigen Moment würde er den Platz von diesem Syphilitiker einnehmen. Und dann würde er seinen eigenen Sohn, seinen Cäsar, an die Stelle dieses Idioten von Fränzchen setzen. Er konnte es kaum erwarten.
* * *
Einige Tage später hatte der Papst einen so bösen Rückfall, dass der deutsche Medicus ihm verordnete, Blut zu trinken. Dies verursachte dem Pontifex in den darauffolgenden Tagen und Wochen ein eigenartiges Fieber und später noch seltsamere Gelüste, eine Art von geistiger Umnachtung, die der persönliche Medicus von Rodrigo, Andrea da Tarragona, ›Fleischsucht‹ nannte. Es war die gleiche Krankheit, die Kain heimsuchte, als er, nach Fleisch dürstend, durch die Welt irrte, weil er das unschuldige Blut seines Bruders vergossen hatte.
Innozenz weigerte sich, die Verurteilung des Grafen Mirandola auszusprechen, da er bereits im Februar solch einen Erlass verfasst hatte. Er schrieb jedoch einen offenen Brief gegen die Thesen Picos. Innozenz gab darin zu verstehen, dass er dem Grafen aufgrund von dessen christlichen und philosophischen Qualitäten eine letzte Möglichkeit gewähren würde, um sich vor dem päpstlichen Gericht zu rechtfertigen. Des Weiteren verfasste er ein Schreiben, das sich an alle gekrönten Häupter Europas richtete. Darin ermahnte er die Herrscher, den
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