999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
glühenden Erde entdecken würde. Dass es in jenen Gefilden nicht einmal Luft zum Atmen gab, wusste zwar jeder Matrose, doch Columbus erhielt seinen Willen.
Diese Ernennung verstand niemand bei Hofe, zumal sie die Aufteilung der Reichtümer zwischen Admiral Columbus und der spanischen Krone vorsah. Welchen Sinn hatte es, über die Territorien zu herrschen, die, wie zum Beispiel Indien, seit Jahrhunderten den rechtmäßigen und jeweiligen Herrschern gehörten? Aber niemand wagte es, der Königin zu widersprechen, und König Ferdinand war viel zu sehr damit beschäftigt, den Krieg gegen Granada, das letzte Bollwerk der großen arabischen Zivilisation, seinem Ende entgegenzuführen.
* * *
Ferruccio und Leonora de Mola grämten sich über das Schicksal ihres Freundes. So oft es ging, leisteten sie ihm Gesellschaft auf seinen langen Spaziergängen und versuchten, ihn von seiner Besessenheit abzulenken. Aber Graf Mirandola war nicht mehr derselbe, und sein Geist begann langsam, jedoch unübersehbar, den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren – so erschien es ihnen jedenfalls. Er sprach ohne Unterlass von der Möglichkeit, den Lauf der Dinge durch Magie beeinflussen zu können. Oft schaute er sich voller Argwohn um, blieb zweifelnd stehen – um dann wieder seinen Spaziergang aufzunehmen und so zu tun, als sei nichts geschehen. Er war sich sicher, behauptete Giovanni, dem alchimistischen Geheimnis in einem aus Rindenblättern gefertigten Buch von Nicholas Flamel – dem Unsterblichen – auf die Spur gekommen zu sein. Am meisten grämte ihn jedoch, dass er den Kontakt zu der Feuerkugel, die am Tage seiner Geburt und in den wichtigsten Momenten seines Daseins erschienen war, verloren hatte. Er behauptete, dass die Große Mutter ihn verlassen hätte, weil er nicht fähig gewesen war, der Welt ihre Existenz zu offenbaren. Und jede Nacht verfolgten ihn Visionen eines grausamen Gottes, die ihm körperliche und geistige Leiden verursachten. Hier gab Ferruccio dem schlechten Einfluss von Bruder Savonarola, der Giovanni Pico oft begleitete, die Schuld. De Mola verabscheute die Todesprophezeiungen und dessen düstere Beschreibungen der göttlichen Bestrafung. Der religiöse Eifer des Mönchs war ihm unerträglich geworden, obwohl er die Abneigung, die dieser gegen den römischen Hof hegte, durchaus teilte.
Florenz
Samstag, 7. April 1492
und die darauffolgenden Monate
Seit Monaten machten in Florenz mysteriöse Gerüchte über den Gesundheitszustand von Lorenzo dem Prächtigen die Runde. Als Ferruccio bei Hofe erschien, erzählte man ihm, dass sich der Gesundheitszustand des Herrschers in den Tagen nach dem Besuch seines Schwiegersohns, Fränzchen Cibo, urplötzlich verschlechtert hätte. Von den Dienern, die täglich die Räume ihres Herrn reinigten, erfuhr er dann noch ein paar Einzelheiten, die sein Misstrauen erweckten. Lorenzo verlor viel Blut aus dem Anus, und sie mussten ihm mehrfach am Tag die Bettlaken und Decken wechseln. Er erkundigte sich nach den Laken, um die Flecken zu begutachten, denn er hatte einen Verdacht: Dunkle Blutflecke würden auf eine Vergiftung hinweisen, und Ferruccio fürchtete, dass ein enges Familienmitglied das gut gehütete Geheimnis Lorenzos, dass er über keinerlei Geruchssinn verfügte, ausgenutzt haben könnte, um ihm während eines intimen Mahls ein stinkendes Pilzgift zu verabreichen. Nach Ferruccios Dafürhalten hatte niemand eine bessere Gelegenheit für solch ein Unterfangen gehabt als Magdalena und ihr Gatte Fränzchen. Aber zu seiner großen Überraschung wiesen die Bettlaken helle statt dunkler Blutflecken auf. Er ließ sich ein Stück Stoff, das er mit Gold teuer bezahlte, aus dem Haufen der Laken holen, die gerade mit heißem Wasser und Schaufeln von Asche in einer großen Wanne eingeweicht wurden.
Die Bettlaken waren so voller Blut, dass mehrere Waschgänge nötig sein würden, um sie zu säubern.
Es war Samstag, und er wusste, dass er den Medicus Paolo Regio mit Sicherheit in seinem Haus antreffen würde. Bevor dieser aus Spanien eingewandert war, hatte er den Namen Moses Coen getragen. Gemeinsam mit dem Medicus wartete Ferruccio, bis es Abend wurde. Dann vollzogen sie gemeinsam bei Kerzenlicht mit einem Glas Wein und Gewürzen die Hawdala , das Ritual der Trennung. Nachdem die drei rituellen Segnungen des Weins, der Gewürze und des Lichts vollzogen worden waren, widmete sich der Medicus der Untersuchung des Stoffes.
»Das Blut ist gesund«, sagte er, »aber der Mann,
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