999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
von dem es stammt, wird sterben. Seht nur den Schimmer auf den Flecken. Das sind winzige Teilchen von Edelsteinen, vielleicht von Rubinen, damit es unbequemen Augen verborgen bleibt.«
»Und was lösen die Partikel aus?«
»Sie sind so fein gemahlen, dass man sie beim Kauen kaum wahrnimmt, wenn sie über Fleisch gestreut werden. Wenn sie in den Magen und schließlich in die Gedärme gelangen, verursachen die Rubinkörner dort schreckliche Geschwüre: Die Wände dieser Organe werden durchlöchert, und sie beginnen zu bluten.« Der Medicus seufzte. »Es gibt leider keinen Weg, diese inneren Wunden zu heilen.«
Einen Tag später war ganz Florenz von dem Klang der Totenglocken erfüllt. Der große Lorenzo, Gönner und Despot, war tot. Nach ein paar Tagen erfuhr Ferruccio, dass Moses Recht gehabt hatte. Allerdings schien es kein Komplott gegeben zu haben. Der neue Medicus, Lazzaro da Pavia, der von der Sforza-Familie aus Mailand entsandt worden war, schrieb in den Totenschein, dass die Perlen und Edelsteine, die er den Herrscher von Florenz hatte schlucken lassen, nicht die ersehnte Heilung gebracht hätten. Diese Aussage hätte gut und gerne auch ein Versuch sein können, öffentlich ein Verbrechen zu erklären, das dann als solches nie stattgefunden hatte. Womöglich war es einfach nur menschliches Versagen? Oder doch ein seit langer Zeit geplantes Komplott?
Der Tod von Lorenzo de’ Medici war folgenschwer für Italien – die Stärke der de’ Medicis, ihr Einfluss und die Allianzen, die mit Geduld gewoben worden waren – all das würde sich bald auflösen. Der König von Frankreich, ein Verbündeter der Sforza, wartete auf nichts anderes.
Eine erste Antwort auf seine Fragen erhielt Ferruccio wenige Tage später: Pier Leone von Spoleto, der alte Medicus von Lorenzo, der Lazzaro da Pavia zur Seite gestanden hatte, sprang vom Turm des Palazzo della Signoria. Oder wurde er hinuntergestoßen? Ferruccio vertraute sich Leonora an, seiner besten Freundin und Vertrauten, und gemeinsam versuchten sie, mit Giovanni darüber zu sprechen.
»Der, der sich gegen seinen Schöpfer versündigt, endet in den Händen eines Medicus«, antwortete Giovanni nur vage mit einem Zitat aus dem Buch Kohelet und zog sich dann wieder in seine Schweigsamkeit zurück.
Im Juli erhielt de Mola direkt aus Rom eine weitere Antwort, die seine Vermutungen bestätigte. Die Totenglocken erklangen erneut. Diesmal hatte sich der schwarze Schleier des Todes über Papst Innozenz gelegt. Aber auch hier war es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Das Volk kannte zwar nicht die genauen Todesumstände, aber diejenigen, die den Kadaver des Papstes zu Gesicht bekommen hatten, erzählten von seinen schwarzen Lippen, der kaputten Haut und den zerbröselten Fingernägeln – die Einbalsamierer hatten zwar tapfer gearbeitet, jedoch nicht alle Spuren der Krankheit beseitigen können. Der zufriedene Gesichtsausdruck von Rodrigo Borgia sprach zudem Bände, und man flüsterte sich zu, dass sein Plan wohl endlich aufgegangen sei.
Ferruccios Befürchtung, dass ein riesiges, vielschichtiges Komplott im Gange war, um das Gleichgewicht Italiens zu verändern, bestätigte sich, als er von Kardinal Giovanni, dem jüngsten Sohn Lorenzos, eine weitere Nachricht erhielt. Knapp einen Monat nach Innozenz’ Tod hatten 23 Kardinäle in einem halb geheimen Konklave Kardinal Rodrigo Borgia zum Papst gewählt – der sogleich den Namen Alexander VI. annahm, den er bereits vor langer Zeit auserkoren hatte.
Geheim gehalten wurde allerdings, dass Rodrigo einen alten Ritus verlangte und auch zugestanden bekam, bevor der weiße Rauch aus dem Kamin aufstieg. Um jede Möglichkeit auszuschließen, dass der Papst eine Frau war, setzte er sich auf den Papstthron aus rotem Marmor, der ein Loch in der Mitte hatte, und empfing die beseeligende Abtastung, während die helle Stimme des Kardinalvikars Testes Habet vor allen anwesenden Kardinälen proklamierte, die dem göttlichen Vater sogleich zu danken begannen. Während seine Genitalien begutachtet wurden, sann Rodrigo sehnsüchtig darüber nach, wie groß der Unterschied zwischen der knochigen Hand Sansonis und der weichen und sanften von Giulia Farnese doch war. Drei Jahre zuvor hatte er sie mit dem Sohn seiner Cousine, Orsino Orsini, dem Grafen von Nola, vermählt. Er hatte ihr befohlen, keinen Verkehr mit ihrem Gatten zu haben, und ihr als Strafe die Exkommunizierung für beide angedroht, sobald er Papst werden würde.
Die heilige
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