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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Siegelrolle hingegen öffnete er noch am Abend seiner Wahl, und ohne in ihr zu lesen, brachte er an verschiedenen Stellen sein rotes Papstsiegel, das aus dem kreuzförmigen Wappen der Borgia und dem der Kirche bestand, auf. Das Siegel hatte er bereits lange vor Innozenz’ Tod anfertigen lassen. Seitdem in ganz Europa die Prozesse und Scheiterhaufen gegen die sündigen und dämonischen Frauen wie ein Flächenbrand wüteten, war die Idee der Großen Mutter endgültig besiegt worden. Dank neuer Allianzen konnte nun eine neue Ära beginnen und ein gütiger und liebevoller Gottvater die Tore zum Paradies wieder öffnen. Und er, Rodrigo de Borja y Doms, hatte den ewigen Schlüssel hierzu.
    * * *
    Als Cristoforo Columbus die Nachricht vom Tod des Papstes, seines Vaters, erreichte, schrieb er einen Brief an Königin Isabella, die den italienischen Hidalgo mittlerweile vergötterte. Zum ersten Mal zeichnete er den Brief mit ›CMJ‹, eine Allusion an die drei großen Religionen: In ihrer Geheimsprache stand das ›C‹ für Christus, das ›M‹ für Mohammed und das ›J‹ für Jahwe. Diese Unterschrift sollte sie an ihr gemeinsames Geheimnis erinnern. Er erwähnte seinen Brief, der Isabella über die unmittelbare Abreise seiner Schiffe in Kenntnis setzte, und erinnerte weiter: »Der heilige Geist wirkt in Christen, Juden und Mohren und in jedem anderen Kult.«
    Am dritten August verließ er Porto Palos und kam am 15. März des folgenden Jahres zurück. Von Glück und Stolz erfüllt, führte er die Beweise für die Existenz der neuen Länder mit sich. Dass er von deren Existenz vor allem aus Seekarten der Wikinger, Iren und Normannen wusste, sagte er genauso wenig, wie er zugab, den neuesten Erzählungen der Gebrüder Zeno gelauscht zu haben, nach denen der Kartograph Toscanelli seine Seekarten anfertigte. Cristoforo hatte seinen Halbbruder Bartolomeo, der ebenfalls Kartograph war, heimlich angewiesen, in diese Karten mehrere Varianten einzufügen, die, wie sich dann herausstellte, wesentlich zum Erfolg der Expedition beitrugen. Im Geheimen verriet Cristoforo seiner Königin, dass er sich sicher sei, nicht der Erste gewesen zu sein, der das große Meer bezwungen hatte. Und er versprach ihr, nach der nächsten Expedition die Beweise dafür zu liefern, dass der Graf von Orkney, Henry Sinclair, bereits Hunderte Jahre zuvor auf dem neuen Kontinent gewesen war. Derselbe Henry Sinclair, der die Zerstörung des heiligen Tempels in Jerusalem überlebt hatte, die damals von König Philipp und Papst Klemens veranlasst worden war.
    Das Tagebuch der Zeno-Brüder erzählte weiter, dass Ritter Sinclair von einer geheimnisvollen Dame zu seiner Reise inspiriert und geführt worden sei, die alle Ritter des Ordens zutiefst verehrten. So erzählte es auch Cristoforo.
    Sobald die Nachricht in aller Munde war, dass der italienische Navigator nach dreitausend gefährlichen Seemeilen den Seeweg nach Indien entdeckt hatte, stellte ein talentierter Künstler, Kartograph und Wissenschaftler – in Vinci geboren, aber seit Jahren am Hofe der Sforza tätig – einige Berechnungen an. Er stellte schnell fest, dass Cristoforo gelogen haben musste. Oder dass er sich bei der Zahl der zurückgelegten Seemeilen vertan hatte – es mussten mehrere zehntausend sein – oder dass die Territorien, die er entdeckt haben wollte, nicht Indien waren, sondern ein Kontinent, dessen Existenz sich aus präzisen alchimistischen Berechnungen ergab.
    Stürme der Entdeckungen und Erfindungen waren über Länder, Herrscher und Völker in ganz Europa hinweggefegt und hatten geografische und wissenschaftliche Grenzen gesprengt. Philosophische Denkansätze zu Fragen der Religion, der Gerechtigkeit und der Freiheit wagten erstmals, Tabus in Frage zu stellen – aber Giovanni Pico Graf von Mirandola schien sich nicht mehr dafür zu interessieren: Für ihn war die Uhr des Lebens endgültig stehen geblieben.
    Es kam sogar so weit, dass Alexander VI. ihm im Taumel seiner Allmachtsfantasien sogar verzeihen wollte. Seine Heiligkeit erließ eine Bulle, die sich explizit mit den Neunhundert Thesen Mirandolas auseinandersetzte. Er verfasste sie höchstpersönlich an einem Tag, an dem er glaubte, der Herrscher über die Welt zu sein oder sich diesem Zustand wenigstens sehr nahe fühlte. In der Bulle, einem rhetorischen Meisterwerk, verwies er geschickt darauf, dass die Thesen von Pico zwar häretisch seien, aber nicht unbedingt die Hände, die sie geschrieben hatten. Zu jener Zeit

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