999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Problem, aber er musste Giovanni finden.
Drei Wochen später fand die Übergabe am vereinbarten Treffpunkt statt.
Um fünf Uhr nachmittags, am ersten Dezember 1938, machte Zugel den Volksempfänger aus, den er sich von dem wenigen Geld, das ihm übrig geblieben war, besorgt hatte. In den letzten Wochen hatte er oft Radio London gehört, eine neue Sendung der BBC. Für sein neues Leben brauchte er auch neue Informationen. Eben hatte er die Nachricht gehört. Laut der Engländer war ein von deutschen und italienischen Geheimdiensten organisierter Staatsstreich in Rumänien gescheitert. Die Zeitung La Nazione , die bei ihm auf dem Bett lag, hatte dieses Ereignis komplett unterschlagen. Zugel holte das in Geschenkpapier eingewickelte Manuskript unter der Matratze hervor und verstaute es in seiner ledernen Aktentasche.
Draußen war es dunkel und kalt. Er stellte seinen Mantelkragen hoch und ging zur Haltestelle Santa Maria Novella. An der Theke der Kaffeebar bestellte er ein Granatapfel-Sorbet – vollkommen absurd, aber so war es vereinbart worden. Der Barmann schüttelte nach Plan den Kopf, woraufhin Zugel einen Espresso verlangte. Mit dem Zuckertütchen würde ihm ein kleiner Zettel gereicht, auf dem eine Nummer und eine Uhrzeit notiert waren.
Der Zug aus Bologna Richtung Rom fuhr pünktlich auf dem dritten Gleis ein, und Zugel hastete zu den Waggons der ersten Klasse. Dort stieg der hochgewachsene Mann mit der Goldrandbrille, der diesmal einen gelben Seidenschal trug, aus. Er hatte eine Aktentasche aus dunkelbraunem Kalbsleder dabei. Die beiden umarmten sich wie die anderen Reisenden auf dem Bahnsteig auch und übergaben sich ihre Geschenke. Beide packten sie hastig aus, gerade weit genug, um den jeweiligen Inhalt zu kontrollieren. Es war 17.48 Uhr. Zwei Minuten später warf der Zugführer einen Blick auf seine Taschenuhr, blies in seine Trillerpfeife und wedelte mit der Signalscheibe. Der Zug fuhr ab, und die beiden grüßten sich ein letztes Mal.
Der Hotelbesitzer sah seinen deutschen Gast nie wieder. Nach einer Woche nahm er sich den Volksempfänger, um wenigstens irgendeinen Gewinn zu machen, denn die Zimmermiete konnte er nun endgültig abschreiben.
Florenz, Rom, Spanien
Von November 1487 bis März 1491
Sein Lebenswerk, der Welt die Existenz der Großen Mutter aufzuzeigen, war gescheitert und mit ihm auch sein Leben. Der Pakt, den Lorenzo de’ Medici und Innozenz geschlossen hatten, war für Giovanni beinahe so schlimm wie Kerkerhaft, denn er durfte Florenz nicht verlassen. Er fühlte sich wie ein Vogel in einem großen Käfig, der sich jedes Mal, wenn er ihn verlassen wollte, mit seinen Flügeln in den eisernen Gitterstäben verfing. Nachdem er sich bei seinen Ausbruchsversuchen einige Male verletzt hatte und sich nun keine Illusionen mehr über eine mögliche Flucht machte, hoffte Giovanni, dass ihn alsbald ein gnädiger Tod ereilen möge.
Im Januar 1488 war Graf Mirandola an Ferruccios und Leonoras Seite, als die beiden sich, mit dem Segen von Bruder Girolamo Savonarola, vermählten. Savonarola nutzte die Gelegenheit, um in der Predigt seine Blitze gegen die Ernennung des kaum 13-jährigen Giovanni de’ Medici zum Kardinal zu schleudern. Die Ernennung hätte bis zu seinem 18. Geburtstag geheim gehalten werden sollen, aber es ging, wie es mit gut gehüteten Geheimnissen immer geht: Der Papst hatte sich seinem Sohn anvertraut, der daraufhin mit seiner Gattin Magdalena, einer Tochter des Prächtigen, darüber gesprochen hatte, die das Geheimnis dann wiederum ihren Freundinnen und Vertrauten zutrug. Kurzum: Niemand hätte davon erfahren sollen, aber der noch bartlose Kardinal wurde, wo immer er erschien, Eminenz genannt und nach seinem Ring gefragt.
Im darauffolgenden Monat wurde Fränzchen zum Statthalter und Hauptmann Roms ernannt. Kardinal Borgia versuchte, die Nominierung für ungültig erklären zu lassen, scheiterte jedoch. Eine Zeitlang trug er sich mit dem Gedanken, den Sohn des Papstes endgültig verschwinden zu lassen – und dingte schließlich einen Meuchelmörder, um ein Attentat auf Fränzchen zu verüben. Auch dies misslang: Der neue Statthalter entkam dem Mörder, weil ihm, wie er verlauten ließ, die Heilige Jungfrau zur Seite gestanden habe. Innozenz und Borgia selbst hielten am darauffolgenden Sonntag eine feierliche TeDeum -Dankesmesse in der Sankt-Peters-Basilika.
Zwei Jahre später, im Februar, ging es Innozenz urplötzlich sehr schlecht: Rote und purpurfarbene Flecken
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