999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Bestrafungen urteilten, dass es bestimmt häretische Bücher seien, und dass man, wenn man des Verfassers schon nicht habhaft werden konnte, wenigstens seine Bücher verbrannte. Und sie hatten Recht.
Wie einfache Adelige gekleidet, hatten Innozenz und Rodrigo Borgia die Bücherverbrennung von den Fenstern im zweiten Stock des Palazzo Condulmer aus beobachtet.
»Das ist nur der Anfang, Giovanni.«
»Ja, und als Nächstes verbrennen wir auch den Grafen Mirandola«, sagte Innozenz gut gelaunt.
Der Kardinal drehte sich zu ihm um.
»Nein, Giovanni, nur seine Bücher. Dabei bleibt es. Wir wollen ein Zeichen setzen. Er wird ganz einfach nur verschwinden und vergessen werden. Ein Buch kann nicht zum Märtyrer gemacht werden, ein Mensch aber sehr wohl. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Was habt Ihr mit ihm vor?«, fragte der Papst und rieb sich seine behandschuhten Hände. Seine Augen glänzten im Schein des Feuers erregt.
»Vergebung.«
»Was? Seid Ihr des Wahnsinns? Zuerst verbrennen wir seine Bücher, und dann vergeben wir ihm?«
»Genau das. Mirandola wird es erfahren und es mit der Angst zu tun bekommen. Wenn die Kommission dem Volk dann öffentlich erklärt, weshalb seine Schriften gottlos und ketzerisch sind, wird er verstehen, dass er verloren ist. Dann werdet Ihr ihm wiederum öffentlich verzeihen und ihn nach Rom kommen lassen. In seiner Verzweiflung wird Mirandola sich an jeden Strohhalm klammern, und Euer Großmut wird für ihn wie der letzte Rettungsanker sein. Er wird kommen und sich in Eure gütigen Hände begeben. Und an diesem Punkt wird Mirandola auf wundersame Weise verschwinden, ganz ohne Aufsehen. Die Große Mutter wird gütig zu ihm sein, meint Ihr nicht?«
Giovanni Battista Cibo lächelte, während die Flammen langsam erloschen und die Menge sich zerstreute. Unter den Letzten befand sich eine junge Frau, der die Soldaten aus Spaß das leuchtend grüne Kleid vom Leibe reißen wollten. Ihr Gesichtsausdruck zeugte von Unmut, aber eine Prostituierte konnte sich solchen Zudringlichkeiten nicht verweigern. Erst als sie ein Messer zückte und ihnen drohte, den kleinen Wurm in ihren Beinkleidern abzuschneiden, ließen sie enttäuscht von ihr ab.
Leonora wusste, von wem die zu Asche gewordenen Bücher stammten, und entschied, den jungen Grafen, dem sie sich anvertraut hatte, zu warnen, koste es, was es wolle – und wenn sie mit ihrem eigenen Leben dafür bezahlen würde. Den Schweinehändler hingegen fand man Stunden später mit offenem Gedärm hinter dem Torre Arpacra neben dem Gasthaus della Vacca. Er lag nackt, mit dem Gesicht nach unten, im Schlamm, und sein fetter Hintern begann sich bereits gelb zu verfärben. »Verblutet und seiner Kleider beraubt« – beschied der herbeigerufene Bader. Keiner wusste, wer der Tote war, und so wurde er kurzerhand in einen Sack gepackt und in das Armengrab der San-Paolo-Kirche geworfen.
Rom
Montag, 5. März 1487
Wer ist dieser edle Herr?«
»Wer denn, Eure Eminenz?«, fragte Notar Mellini, ohne aufzublicken.
»Wenn Ihr nicht aufschaut …«, antwortete ihm der alte Frangipane verärgert und deutete auf einen Mann. »Dort hinten, der stattliche Ritter mit dem schwarzen Gewand und dem roten Berett.«
Der Notar seufzte, legte die Schreibfeder auf dem Schreibpult ab, putzte sie sorgfältig, schraubte das Tintenfässchen zu, nahm seine Brille ab und folgte dem Zeigefinger Frangipanes.
»Wer, Eure Eminenz, der mit dem Spitzbart?«
»Ja, genau der. Ich habe ihn hier noch nie gesehen, aber er kommt mir doch bekannt vor.«
Der Notar betrachtete den Fremden aufmerksam. Seine Kleidung war so achtbar, dass er nicht zum römischen Adel gehören konnte. Ein Händler konnte er auch nicht sein, denn er trug die Goldkette und den Rubinring mit der Selbstverständlichkeit eines Edelmannes. Der Notar ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, die sich im Audienzsaal des Laterans versammelt hatten, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen und schüttelte daher den Kopf.
»Ich fürchte, ich kann Euch nicht dienen, Eminenz.«
»Dieser Tage, so erzählt man sich in Rom«, flüsterte ihm der adlige Frangipane ins Ohr, »sei der Sohn von Mattia Corvino angekommen.«
»Wirklich, der König von Ungarn?«
»Ja, das könnte der Prinz sein, der gekommen ist, um mit dem Papst eine Allianz gegen den Sultan auszuhandeln. Oder einer seiner Botschafter.«
Vor ihnen nahm sich ein Dominikanermönch die Kapuze ab, drehte sich um und bedeutete ihnen mit gerunzelter
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