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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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– zu erwecken.
    Ferruccio hatte Leonora ritterlich den Arm angeboten und sie ihm mit ausgesuchter Grazie die Hand gereicht. So verließen sie den Lateranpalast, gingen in Richtung Via Appia und bogen dann in eine unauffällige Seitenstraße, in die Via Veio, ein. Hier hatte Ferruccio eine Wohnung gemietet. Wohl oder übel akzeptierte Leonora die Situation, fürchtete jedoch insgeheim, dass ihr Begleiter zudringlich würde. Früher wäre sie froh gewesen, wenn solch ein Kavalier sie erwählt hätte, um ihm ein paar schöne Stunden zu verschaffen, denn nicht selten hatten Hunger und Not sie gezwungen, auch die Gesellschaft von rüden Männern zu ertragen. Wenigstens waren ihre Stammkunden nicht gänzlich unangenehm gewesen: Händler, Abenteurer, der eine oder andere Soldat und ab und an ein unwichtiger Prälat.
    Nun aber, nachdem de Mola sie zu einer edlen Dame gemacht und sie auch so behandelt hatte, wollte sich Leonora nicht so einfach hingeben. Und für Geld schon gar nicht, denn sie hätte sich dann noch schmutziger als beim ersten Mal gefühlt.
    Seitdem sie die Wohnung betreten hatten, war Ferruccio stumm geblieben, und das hatte sie noch nervöser gemacht. Unruhig entschied sie zu gehen – in der Hoffnung, dass er verstehen und es ihr ersparen würde. Rom war schließlich voll von willigen Frauen.
    »Du kannst nicht in dein Zimmer zurückkehren, Leonora.«
    Sie errötete, denn die Stimme Ferruccios war sanft, während er sie fest mit seinen dunklen Augen ansah.
    »Warum nicht?«, fragte sie und hoffte, dass ihm ihre roten Wangen nicht auffielen.
    Ferruccio lächelte.
    »Das hier ist dein neues Heim. Es ist sicher; der Besitzer ist ein Freund des Grafen, und ihn interessiert nicht, wer darin wohnt. Der Graf will nicht mehr, dass du … er will nicht mehr, dass du in dein Zimmer und in deine Welt zurückkehrst.«
    Diesmal war er peinlich berührt, denn es war nicht einfach, die richtigen Worte zu finden, ohne sie zu verletzen. Sie bemerkte es und war ihm dankbar. Das ermutigte ihn fortzufahren.
    »Ich kann auf mich selbst aufpassen, ich habe es bis zum heutigen Tage ganz gut allein geschafft«, wandte Leonora ein.
    »Darum geht es nicht. Du verdienst sowohl die Bewunderung des Grafen als auch die meine. Heute warst du perfekt. Es schien, als würdest du diese Welt und die Verhaltensregeln in den adligen Kreisen ganz genau kennen. Also ich meine, ich war mir dessen sicher, aber …«
    »Vielleicht bringt es Euch ja zum Lachen, aber ich bin von den Santa-Chiara-Nonnen erzogen worden. Jemand hat für meine Erziehung bezahlt, vielleicht mein Vater, den ich nicht kenne. Solange bezahlt wurde, bin ich mit solcher Sorgfalt erzogen worden, als würde ich eines Tages einen Edelmann heiraten. Warum dann alles über Nacht endete, weiß ich nicht – vielleicht verstarb mein Wohltäter, oder er hatte sein gesamtes Vermögen verloren. Als die Äbtissin mir mitteilte, dass ich gehen müsse, haben sich gewisse Personen, die mit Neid auf mich blickten, darüber gefreut. Von heute auf morgen saß ich ohne Geld auf der Straße. Nichtsdestotrotz habe ich aber nie die Schmeicheleien, die elegante Haltung, die Bewegung der Hände, des Antlitzes, der Blicke und die anderen Künste vergessen, in denen eine edle Jungfrau unterrichtet sein muss. Bei den Nonnen habe ich Musizieren und Gesang, lesen und schreiben gelernt, und ich kann sogar auf Französisch Konversation machen, obwohl ich die Sprache seit langer Zeit nicht mehr spreche. Ich glaube sogar, ich kann es gar nicht mehr. Was habt Ihr, Ferruccio, langweile ich Euch? Oder habe ich etwas gesagt, das Euch verärgerte? Vielleicht spreche ich zu viel, aber ich habe so selten Gelegenheit dazu.«
    Ferruccios Herz schlug schneller, und er konnte ihr erst antworten, nachdem er Atem geschöpft hatte.
    »Nein, Leonora, verzeih. Aber ich war von deinen Worten verzaubert. Auch in meiner Welt kommt es nicht oft vor, dass eine Frau so zu mir spricht.«
    »Mir will scheinen, dass die Damen, die Ihr trefft, nicht sehr wohl erzogen sind«, erwiderte Leonora maliziös.
    »Ich ergebe mich«, sagte Ferruccio und hob die Hände. »Dies kommt übrigens auch äußerst selten vor. Aber du hast das Thema gewechselt. Ist das auch ein Teil deiner Erziehung durch die Nonnen?«
    »Dies auch, ja«, antwortete sie ihm schelmisch. »Das ist eine typische weibliche List. Setzt Euch, Ferruccio, Ihr seid so groß und so freundlich, dass es mir schwerfällt, das Wort frank und frei an Euch zu richten. Ich bin Euch

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