AAA - Das Manifest der Macht
Knall zerriss die Stille der Nacht. Entsetzt sahen Samantha und John, wie Ben noch einige Schritte weiterrannte, dann zu taumeln begann und auf das Brückengeländer zulief. Er stolperte kurz und es sah so aus, als wollte er sich noch festhalten, aber er hatte zu viel Schwung und fiel mit dem Kopf voran über das Geländer. Kein Schrei war zu hören, nur ein lautes Platschen nach unendlichen Sekunden. Danach herrschte völlige Stille.
„Oh, nein! Ben!“ Samantha hatte sich aus ihrer Starre gelöst. Sie stürzte zusammen mit John zur Brüstung, und gemeinsam suchten sie die dunkle Wasseroberfläche ab und lauschten angestrengt, ob irgendein Lebenszeichen von Ben zu hören war. Doch es blieb alles ruhig, und von Ben war nichts zu sehen.
„Ben!“, schrie Samantha hysterisch, dann brach sie in Tränen aus und sackte langsam in die Knie, während ihr Körper von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
„Ben!“, schrie jetzt auch John über das Wasser, ohne Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Die Themse hatte Ben verschluckt.
Als John hochblickte, war auch Dominique verschwunden.
KAPITEL 62
Vollkommen in die eigenen Gedanken versunken kehrten Samantha und John ins Hotel zurück.
Die vergangenen zwei Stunden hindurch hatten sie die bohrenden Fragen der britischen Polizei beantwortet. Um allen Schwierigkeiten von vorne herein aus dem Weg zu gehen, hatten sie ausgesagt, Ben sei bei einem nächtlichen Spaziergang von einem Moment zum anderen in die Themse gestürzt, und sie hätten keine Ahnung, wieso. Sie spekulierten über einen Kreislaufkollaps oder eine Herzattacke, denn zu keinem Zeitpunkt wollten sie der Polizei verraten, was sie wirklich zu so später Stunde dort auf der Brücke getan hatten. Dominique war verschwunden, und deswegen mussten sie für die Polizei die verzweifelten Freunde des Vermissten spielen. Es war ihnen offensichtlich gelungen, denn man ließ sie schließlich gehen, was nicht zuletzt Johns anwaltlichen Überredungskünsten zu verdanken gewesen war.
Sie fuhren mit dem Lift nach oben, und Samantha öffnete die Tür zu ihrem Hotelzimmer. Dann drehte sie sich zu John um, der abwartend hinter ihr stand.
„Ich möchte jetzt nicht alleine sein“, flüsterte sie, und John nickte stumm, bevor er ihr ins Zimmer folgte und die Tür hinter sich schloss. Samantha wandte sich zu ihm um und blickte ihm in die Augen.
Eine Zeitlang standen sie sich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt gegenüber, unschlüssig, was als Nächstes geschehen sollte. John verspürte den Drang, Samantha in den Arm zu nehmen, aber bevor er eine Bewegung machen konnte, schlug sie den Blick nach unten.
„Wie konnte das passieren? Wieso Ben? In was sind wir da hineingeraten?“, brach es aus ihr heraus, und Tränen der Wut und der Verzweiflung schossen in ihre Augen.
„Samantha, wir wussten von Anfang an, dass es gefährlich werden könnte“, versuchte John sie zu beruhigen, „und Dominique ist brutal und unberechenbar, auch das wussten wir, spätestens seit ihrer Aktion in Berlin. Aber dass sie so weit gehen würde, Ben und dich zu kidnappen, um die Herausgabe des Tagebuchs zu erpressen, dass sie euch mit einer Waffe bedroht, dass sie Ben vielleicht getötet hat, das hätte ich nicht für möglich gehalten.“
„Aber jetzt ist Ben tot, John, und Dominique ist einfach so verschwunden! Sie kann doch nicht ungestraft davonkommen!“
„Das wird sie nicht, das verspreche ich dir. Sie wird ihre Strafe bekommen.“
John hob die Arme und strich Samantha besänftigend erst über die Schultern und dann über den Rücken.
„Sieh mal“, sagte er dann,„wir haben die Wahl: wir können Dominique bei der Polizei anzeigen und uns dabei selbst in arge Bedrängnis bringen. Wer soll uns denn die Wahrheit abkaufen? Wir suchen nach meinem Urahn Karl Marx und seinen Nachkommen? Das glaubt uns kein Mensch. Und vor allem: denk dran, wir sind in einem fremden Land und der Tower ist nicht weit!“
Samantha fühlte sich wohl in Johns Umarmung und machte keinerlei Anstalten, sich daraus zu befreien. Im Gegenteil, sie schmiegte sich noch enger an ihn, hob ihren tränenverhangenen Blick und sah ihm in die Augen. „Wenn dir auch noch etwas geschehen wäre“, flüsterte sie, „wüsste ich nicht, was ich tun sollte! Ich hatte solche Angst um dich!“
Wie selbstverständlich fanden sich ihre Lippen zu einem sanften Kuss, der immer fordernder wurde.
John zog sie noch enger an sich. „Und ich hatte schreckliche Angst um dich“,
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