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AAA - Das Manifest der Macht

AAA - Das Manifest der Macht

Titel: AAA - Das Manifest der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Meltz
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mir diesen mitzuteilen? Wir sollten uns wiedersehen.“
    Ein Geräusch aus dem Kinderzimmer riss Guy kurzzeitig aus seinen Gedanken, doch schweiften sie sofort zurück zu dieser ersten Begegnung. Wie stattlich und eindrucksvoll der Mann doch gewesen war.
    An diesem Tag hatte Karl Marx in Guy de Levigne einen seiner feurigsten Gefolgsmänner gewonnen. Dass diese Bewunderung eines Tages in Angst und Schrecken umschlagen würde, konnte Guy zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ahnen. Eine Weile ließ sich er sich von der brillanten Rhetorik blenden, aber er war nicht blind. Und er war ehrlich genug, dass er sich selbst einen Großteil der Schuld an dem zuschrieb, was seine Gedanken Tag und Nacht umkreisten.
    Alles hatte so einfach angefangen. Nach der Verlegerparty trafen sie sich häufiger. Mal im Verlagshaus – schließlich schrieben sie inzwischen für den gleichen Verleger – mal in der Stadt, um zu diskutieren. Schnell merkten sie, dass der erste Eindruck voneinander nicht getrogen hatte und sie ganz ähnliche Ideale mit großer Leidenschaft verfolgten. Des Öfteren arbeiteten sie sogar gemeinsam an Artikeln oder diskutierten in langen Briefen mit Gesinnungsgenossen in England, Deutschland und Amerika. Auch Engels tauchte hin und wieder bei diesen Arbeitstreffen auf. Er war ebenso wie Marx ein Verfechter des Proletariats, auch er wollte den Menschen zu selbstbestimmter Arbeit und gleicher Verteilung aller Güter verhelfen. Vor allem aber unterstützte er Marx und bald auch Guy finanziell. Natürlich konnte Guy ein zusätzliches Einkommen gut gebrauchen, doch diese Geldströme beunruhigten ihn auch. Von wem kam das Geld? Nur aus Engels Privatvermögen? Wer wurde noch von Engels bezahlt? Guy schien es so, als habe er sich unversehens und plötzlich an eine Organisation von unbekannter Größe gebunden. Es war ein unbehagliches Gefühl.
    Marx und Engels redeten viel, doch schienen sie auch viel zu verschweigen. Einigkeit herrschte über das Ziel, die klassenlose Gesellschaft. Marx hatte dieses Ziel und mögliche Wege dorthin bereits in verschiedenen Publikationen, insbesondere in dem 1848 erschienenen Kommunistischen Manifest beschrieben. Doch hartnäckig blieb die Lücke bestehen, wie genau der Sprung aus heutigen Verhältnissen zur Herrschaft des Volkes geschafft werden sollte. Durch Revolution oder Rebellion? Durch Wahlen oder Staatsstreich? Es wurde manchmal heftig gestritten.
    Von einer Übergangsgesellschaft sprachen Marx und Engels, und dass jemand diese Gesellschaft anführen müsse. Wieso, fragte sich Guy, musste es ein Oberhaupt geben, wenn doch alle bereits gleich waren. Übergeordnetes Ziel war ein viel genutztes Schlagwort. Heiß wurden die Fragen diskutiert, in welchem Umfang Kollateralschäden für das übergeordnete Ziel in Kauf genommen werden durften. Müsse eine kommunistische Diktatur im Übergang zur klassenlosen sozialistischen Gesellschaft nicht als geradezu unvermeidlich angesehen werden? Aber wie könnte man verhindern, dass sich auch diese Diktatur in sich selbst verlieben und allein ihrer Selbsterhaltung dienen würde? Marx und Engels waren bei den Antworten auf solche Fragen deutlich risikofreudiger als Guy, und, so schien es ihm, äußerst weltfremd.
    Sein ungutes Gefühl bestätigte sich eines Abends. Marx hatte ihn und Engels in seine Pariser Bleibe zum Essen eingeladen. Während des Essens, einem viel zu üppigen Mahl in Anbetracht des Leberleidens, das den Hausherren seit Jahren plagte, hatten sie wie immer über aktuelle Ereignisse rund um Paris sowie über ihre Theorien und deren Umsetzung gesprochen.
    Die Haushälterin, von Marx liebevoll Lenchen genannt, servierte einen Schmorbraten mit Bratkartoffeln und dazu mehrere Flaschen erstklassigen Rotweins. Nach dem Essen zogen sich die Herren mit dem Rest des Weins und Zigarren in die Bibliothek zurück. Plötzlich – Guy konnte sich an den Auslöser nicht mehr erinnern – änderte sich die Stimmung. Die gerade noch behagliche Stille wurde unvermittelt angespannt.
    Marx wandte sich feierlich an Guy. „Ich glaube, du bist nun soweit. – Oder,“ fragte er zu Engels gewandt,„was meinst du, Fritz?“
    „Er ist soweit.“
    „Was bin ich?“, fragte Guy überrascht und ein wenig über sich selbst verärgert, war er doch gespannt wie ein Schuljunge vor der Zeugnisausgabe. Er hatte nicht den leisesten Schimmer, was jetzt folgen würde; doch ihm schwante nichts Gutes.
    „Du bist nun so weit, dass wir dich in etwas sehr Wichtiges

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