AAA - Das Manifest der Macht
persönlich von Belang wäre. Doch das Geschriebene zog ihn immer mehr in seinen Bann. Samantha hatte Recht gehabt, das Tagebuch bestätigte den Inhalt des Zeitungsartikels, den Ben in der Nationalbibliothek in Paris gefunden hatte. Und in noch einem Punkt hatte Samantha Recht: Wenn das stimmte, was Guy de Levigne da vor so vielen Jahren schriftlich niedergelegt hatte, dann mussten die Geschichtsbücher tatsächlich in vielen Punkten geändert werden. Karl Marx mochte zwar immer noch als großer Philosoph und als weltweit anerkannter Vordenker des Kommunismus gelten, doch er hatte auch eine dunkle Seite, die sich der Macht des Geldes bedienen wollte.
John ließ den Kopf nach hinten sinken und dachte über das soeben Gelesene nach. Er konnte es kaum glauben. Ein Geheimbund aus Banken und einflussreichen Politikern, angeführt von Karl Marx und Friedrich Engels, sollte damals Stück für Stück die Produktionsgüter übernehmen. Die Banken sollten Kredite an junge Kapitalgesellschaften vergeben, im Gegenzug Gesellschaftsanteile übernehmen und so mit der Zeit die Kontrolle über diese Gesellschaften erlangen. Das Ergebnis sollte die Entmündigung der bisherigen Unternehmer und Eigentümer sein.
John hatte in seiner beruflichen Tätigkeit viel mit Aktiengesellschaften zu tun, und je länger er nachdachte, umso mehr wurde ihm bewusst, dass heute tatsächlich die meisten großen Gesellschaften mehrheitlich im Eigentum von Banken standen.
Außerdem ging aus Guy de Levignes Tagebuch hervor, dass Marx wohl vorhatte, auch die Regierungen unter seine Kontrolle zu bringen. Hierfür sollten die Banken den Regierungen zunächst günstige Kredite verschaffen, damit diese ihre politischen Ziele erreichen konnten. Im Gegenzug sollte den Banken das Recht eingeräumt werden, die Währungen dieser Länder herauszugeben und zu steuern.
John klangen noch die Worte seines alten Freundes Gernot Bresser im Ohr. Alle Regierungen und alle Staaten der Welt hatten gigantische Staatschulden und standen dadurch in Abhängigkeit von den Banken. Auch dieser Punkt ergab nun Sinn.
John las weiter.
Die klassenlose Gesellschaft war immer noch Marx’ Ziel. Plötzlich stieß John auf eine Textstelle, in der Guy de Levingne davon schrieb, dass Marx angeblich auch ein sogenanntes Manifest der Macht geschrieben hatte. Eine Fortsetzung des allgemein bekannten Manifestes der Kommunistischen Partei.
John überlegte und schüttelte den Kopf.
Wie realitätsfern dieser Mann gewesen sein musste. Er legte das Tagebuch auf den Nachttisch und lief im Zimmer auf und ab. Gedankenfetzen tauchten in seinem Kopf auf und waren im nächsten Moment wieder verschwunden.
Marx und die Banken?
Der Kommunistenführer hatte mit den Kapitalisten zusammengearbeitet? Das Zitat von Mayer Amschel Rothschild blitzte in John auf: Gebt mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, und es ist mir gleichgültig, wer die Gesetze macht.
Hatte Marx sein Ziel erreicht?
John überlegte.
Ein anderes Zitat kam ihm in den Sinn. Woodrow Wilson, Präsident der USA und Friedensnobelpreisträger von 1919, hatte nach dem Federal Reserve Act von 1913 gesagt: Unsere Regierung ist nicht länger eine der freien Meinung und Willensbildung, nicht länger eine Regierung der Überzeugungen sowie der Stimmen der Mehrheit. Es ist nun eine Regierung, welche der Überzeugung und dem Zwang einer kleinen Gruppe marktbeherrschender Männer unterworfen ist.
John presste die Hände an die Schläfen. Irgendwie passte das alles nicht zusammen. Eigentlich hatte er doch nur wissen wollen, wer sein Ur-Urgroßvater war, nein, das war es nicht, korrigierte er sich, er hatte beweisen wollen, dass es jedenfalls nicht Karl Marx war. Und jetzt war er auf eine völlig neue Schiene geraten. Samantha hatte bereits ganz am Anfang von einer großen Sache gesprochen; ihr geheimnisvoller Informant hatte so etwas angedeutet.
Und was hatte sein alter Freund Gernot Bresser mit der ganzen Sache zu tun? Als Nächstes gingen John wieder die Worte des obersten Chefs von First Internationals durch den Kopf: „Überlege, John, ob es wirklich so schlimm ist, von Karl Marx abzustammen.“
Frank van den Bergh! John hatte plötzlich wieder die Szene in der Lagerhalle vor Augen. Sein Chef hatte ihm die Reise zu seinen Wurzeln praktisch nahegelegt. Er checkte die Uhrzeit und beschloss, Frank van den Bergh anzurufen.
Nach dem dritten Freizeichen wurde abgehoben. „Ja, bitte?“
„Mr. van den Bergh? Hier ist John!“
„John!
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