Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
die Ruth und einem Mann gehörten. Das weckte ihre Neugier. Rebecca schlich zur Tür.
«Warum sollte sie hier sein, Joshua?», hörte sie Ruth fragen.
Joshua? Ihr Bruder, der Verkünder, hier im Haus der Mutter? Er hatte sie also gefunden, doch ihre Mutter wirkte nicht, als fürchtete sie sich vor ihm. Was ging hier vor?
Rebecca schlich auf Zehenspitzen näher heran und drückte ihren Rücken gegen die Wand neben der Tür. Der Spalt ermöglichte es ihr, einen Blick auf ihren Bruder zu werfen. Breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen stand Joshua vor Ruths Tisch und blickte kalt auf sie herab. Rebecca hielt den Atem an und wartete gespannt auf die Antwort ihres Bruders, während sie die Mimik ihrer Mutter beobachtete.
«Wo ist sie? Sie war doch bei dir.»
Joshuas Stimme klang ungehalten. Rebecca befürchtete, die beiden könnten ihre Gegenwart spüren. Doch zum Glück waren sie so in ihr Gespräch vertieft, dass sie sie nicht bemerkten.
«Na und? Was weiß ich!», schnaubte Ruth.
Zwischen Ruth und Joshua herrschte eine gewisse Vertrautheit, die Rebeccas Befürchtungen bestätigte, die beiden würden sich schon länger kennen. Weshalb hatte Ruth ihr das verschwiegen?
Unzählige Fragezeichen schwirrten durch ihren Kopf und schürten nicht nur ihre Neugierde, sondern auch ihre Enttäuschung. Obwohl durch alle Anwesenden das gleiche Blut floss, spürte sie keine Verbundenheit oder Nähe. Ruth hatte sie getäuscht, ihr Warmherzigkeit vorgespielt. Die Runen an ihren Unterarmen begannen zu pulsieren. Rebecca wagte nicht, sich zu bewegen.
Joshua wandte sich ab und wanderte im Zimmer auf und ab.
«Setz dich wieder hin, du machst mich ganz nervös.»
Ruths strenger Tonfall ließ ihn kurz innehalten, bis er ihrer Aufforderung nachkam und in den Plüschsessel vor dem Tisch sank.
«Bist du dir sicher, dass sie Seraphiel vernichten wird?»
Joshua überschlug die Beine. Seine Gelassenheit schien nur gespielt, denn seine Finger krallten sich in die Lehnen.
«Ja, natürlich. Hat sie das Exsolutio vernichtet?»
Rebecca horchte auf.
Joshua fuhr sich durchs blonde Haar. «Das habe ich dir doch schon zigmal gesagt. Was ist, wenn sie den Spruch behalten hat und Seraphiel befreit?»
Ruth schüttelte den Kopf. «Ich habe ihren Zorn gegen ihn gespürt. Sie wird es nicht tun, davon bin ich überzeugt. Außerdem wird einer der Blutengel sie vorher getötet haben.»
Das war nicht mehr die Ruth, die mit ihrer tragischen Geschichte ihr Mitleid errungen hatte. Diese Skrupellosigkeit erschreckte Rebecca. Und dieser Frau hätte sie fast ihre Fluchtpläne anvertraut.
«Wo ist Julia eigentlich? Sie wollte doch schon längst hier sein.»
Ihr Bruder sah zur Uhr.
«Sie wird nicht kommen», antwortete Ruth ruhig, aber bestimmt.
Joshuas Brauen ruckten empor. «Wie meinst du das jetzt? Sie wird nicht kommen? Hast du ihr etwa einen Auftrag gegeben?»
Zorn schwang in seiner Stimme mit.
«Nein, sie hat ihre Pflicht und Schuldigkeit getan. Wir brauchen sie nicht mehr.»
Die Kälte in Ruths Stimme ließ Rebecca frösteln. Aaron hatte Joel und Julia weggeschickt. Waren die beiden auch ermordet worden? Rebecca schluckte.
Joshua sprang auf. «Was hast du getan, Mutter?»
Ein boshaftes Lächeln kräuselte Ruths Lippen.
«Du … du hast sie umbringen lassen? Ich war mit ihr zusammen!»
Ihr Bruder erbleichte, dann packte er Ruth an den Schultern und zerrte sie grob hoch.
«Lass mich sofort los.»
Ihre Mutter blieb erstaunlich ruhig und sah auf seine Hände. Widerwillig ließ Joshua von ihr ab.
«Sie war ein junges, naives Ding. Finde dich damit ab.»
«Du kannst nicht einfach …»
«Und ob ich das kann. Du vergisst, wer dich zum Verkünder gemacht hat.»
Jedes ihrer Worte war scharf wie ein Messer.
Joshuas Miene verzerrte sich vor Wut. «Wie könnte ich das vergessen, Mutter? Du sagst es mir doch jeden Tag.»
Rebecca glaubte von einer Ohnmacht in die nächste zu fallen. All das hatte Ruth ihr verschwiegen.
Ruth lachte gehässig auf. «Anscheinend noch nicht genug. Du versagst immer wieder. Auf ganzer Linie. Vor allem bei der Suche nach Rachel. Diese anderen Frauen, die du und Julia mir angeschleppt habt … Wie blöd kann man nur sein, immer wieder die Falsche zu entführen …?»
Wütend sprang Joshua auf. «Du hast doch gut an ihren Seelen verdient!», schleuderte er ihr zornig entgegen.
Deutlich schwoll eine Ader an seinem Hals an. Rebecca wurde schlecht. Bonnie und die anderen waren alle ihretwegen gestorben,
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