Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Stirn.
Wie zwei scharfe Messer schnitten sich die Schwingenspitzen durch seine straffe Haut. Er riss den Kopf hoch und presste die Luft aus den Lungen, um nicht laut loszuschreien. Mit jedem Zentimeter, den die Haut platzte und den Flügeln Platz verschaffte, steigerte sich der Schmerz in seinem Rücken. Es erschien ihm endlos lang, bis sich seine Schwingen den Weg nach außen gebahnt hatten und kräftig genug waren, ihn zu tragen.
Einen Moment lang musste er verschnaufen. Rebeccas Herz raste wie ein Trommelwirbel in seiner Brust. Die Angst um sie verlieh ihm ungeahnte Reserven. Oder war es die Kraft ihres Herzens, die ihn beflügelte?
Joel trat ihm aus der Dunkelheit entgegen. Die Klingen der Schwerter leuchteten. Auch Joel hatte seine Schwingen wachsen lassen. Er reichte Aaron das Schwert.
«Worauf warten wir noch?»
«Diese Mission muss ich allein beenden», widersprach Aaron, der seinen Freund nicht in Gefahr bringen wollte.
«Ich lasse dich nicht allein zum Höllentor. Seraphiel wird nicht der Einzige dort sein. Du kannst nicht allein den Kampf gegen ihn und andere Gefallene aufnehmen. Ich komme mit, ob es dir passt oder nicht.»
Der bestimmende Tonfall seines Freundes ließ Aaron aufhorchen. «Ich will keine Zeit mehr verlieren. Luzifers Schergen sind sicher schon gewarnt.»
Mit kräftigen Flügelschlägen erhoben sich Aaron und Joel in den Nachthimmel. Rebeccas Herzschlag in Aarons Brust wurde unerwartet schwächer. Unter ihnen glitzerte die Meeresoberfläche im Mondlicht. Die Luft war eisig, aber Aaron spürte es kaum, zu sehr war er in seiner Sorge um Rebecca gefangen.
Er liebte sie mehr als sein Leben, und wenn ihr etwas zustieße, würde auch er aus diesem Leben scheiden wollen. Nein, er durfte nicht an diese Möglichkeit denken. Solange ihr Herz in seiner Brust schlug, lebte sie.
Der Flug dauerte lange, bis sie endlich die Silhouette von Point Reyes am Horizont erkannten. Der schwarze Nachthimmel, der eben noch mit der Steilküste verschmolzen war, schimmerte rot. Das Höllentor öffnete sich. Aaron verdrängte den Gedanken an Rebecca. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Seele in den gefräßigen Schlund Luzifers gerissen werden würde.
Ihr Herzschlag wurde mit jedem Flügelschlag schwächer. Immer schneller teilten Aarons Schwingen die Luft, bis er Rebecca endlich unter sich auf dem felsigen Kamm der Steilküste liegen sah. Reglos, bleich und mit weit aufgerissenen Augen, von Höllenfeuer eingeschlossen.
Das Höllentor war fast geöffnet, überall konnte er bereits die Gegenwart von Luzifers Schergen spüren, die nur darauf warteten, durch das Tor Seraphiel zu Hilfe zu eilen. Er würde nicht nur gegen den Feuerengel kämpfen müssen, sondern auch gegen Luzifers Leibgarde, wenn er Rebecca befreien wollte.
Seine Lage war mehr als bescheiden, wenn nicht katastrophal. Und jetzt steckte auch noch Joel mit drin. Er hätte den Freund nicht mit reinziehen dürfen. Rebeccas Herz stolperte und stoppte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor es weiterpochte. Sie rang mit dem Tod.
Aarons Angst um sie wuchs ins Unermessliche. Er konnte und wollte sie nicht verlieren.
Rebecca! Ich bin hier!
Konnte sie seinen stummen Schrei hören oder befand sich ihr Geist bereits auf der Reise in die Ewigkeit? Sie durfte nicht sterben! Nicht jetzt.
Als er über ihr schwebte, spürte er deutlich Seraphiels Gegenwart, die wie feine Glassplitter auf seine Haut prasselte. Aaron erkannte, dass die Feuerspalten bereits weit aufklafften und es nicht mehr lange dauerte, bis die Gefallenen ihre düstere Welt verließen.
Schon schossen Schatten aus den Feuerspalten empor. Aaron hörte Joels Flügelschlag dicht hinter sich, er wurde langsamer und glitt tiefer. Als er den Boden berührte, erkannte er seinen Erzfeind, der wie eine lebendige Fackel aus dem Feuer trat und sich vor Rebecca aufbaute.
Aaron spürte ihr Herz in seiner Brust springen. Alles, was er empfand, war ein Gemisch aus unbändigem Zorn und Hass. Die Bilder der Vergangenheit holten ihn erneut ein. Er sah die graue Aschegestalt seiner Mutter vor sich, hörte Juans Schreie und fühlte Rosies Angst. Jetzt war der Tag der Abrechnung gekommen, den er stets herbeigesehnt hatte. Heute würde er Seraphiel vernichten und Rebecca retten, gleichgültig, ob auch er dabei starb.
Der Feuerengel sah voller Mordlust auf seine Tochter herab. Seraphiel streckte die Arme vor, um ihr mit seinen Flammen den Todesstoß zu versetzen. Im selben Augenblick stürzte Aaron sich mit
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