Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
dass das Holz splitterte, so als hätte er Butter geschnitten.
Mit dem Schwert in der Hand nahm er Anlauf, sprang hoch und landete nach einem Salto wieder vor dem Klotz. Immer schneller absolvierte er diese Übung, erweiterte sie, in dem er an der Fassade emporkletterte und vom Dach hinuntersprang. Er wiederholte sie unzählige Male, bis ihn ein brennender Schmerz am Hals stoppte.
Als er mit der Hand über seine Engelsrune rieb, verschlimmerte sich das Brennen. Keuchend lehnte er sich gegen die Hauswand, schloss die Augen und wartete darauf, dass der Schmerz verebbte.
Sein Geist wurde in die Vergangenheit gesogen. Die Rune an seinem Hals hatte auch an jenem verdammten Tag geschmerzt, an dem er seine Mutter und seinen Stiefbruder verloren hatte. Genauso atemlos war er gewesen, als er damals nach Hause gerannt war. Je mehr er sich dem Ort des Grauens genähert hatte, desto mehr hatte die Rune geschmerzt, als drückte ihm jemand ein glühendes Eisen auf die Haut.
Aaron hatte gespürt, dass etwas Schreckliches geschehen war, und die Angst hatte ihn vorangetrieben, bis er glaubte, seine Lungen würden platzen.
«Nein! Nein!»
Seine Schreie dröhnten in seinem Kopf. Er hielt sich die Ohren zu, weil er sie nicht mehr ertragen konnte. Je mehr er die aufsteigenden Erinnerungen verdrängen wollte, desto eindringlicher wurden sie. Selbstlos war er ins Flammenmeer gerannt, um die Menschen, die er liebte, zu retten, ohne Rücksicht auf sein Leben. Die Fähigkeit eines Seraphims, unversehrt durchs Feuer zu laufen, besaß auch er, allerdings nur, wenn es ihm gelang, Angst und Zweifel zu besiegen. Die Furcht vor Seraphiel, der in der roten Hölle auf ihn lauerte, hatte ihn verwundbar gemacht.
Fast glaubte Aaron wieder das Knistern des Feuers zu hören und den beißenden Rauch einzuatmen. In der lodernden Glut suchten seine Augen vergeblich nach einer menschlichen Kontur, bis Rosalia geschrien hatte. Er war durch die Flammen gesprungen und hatte sie gepackt, mit seinem Körper vor dem herabstürzenden, brennenden Gebälk geschützt. Doch Juan und seine Mutter hatte er nicht mehr retten können, bevor das Dach eingestürzt war.
Seitdem wollten die Bilder nicht weichen, seine Schuldgefühle, seine Schuld. Seine Mutter eine graue Gestalt, die an der Wand kauerte und sich langsam in Staub auflöste. Juan, den die brennenden Balken unter sich begruben. Ihre Schreie … Rosies Brandwunden … Schmerz und Trauer überwältigten ihn aufs Neue.
Er hasste Seraphiel aus tiefstem Herzen für seine Tat. Wäre nicht die schwerverletzte Rosie an seiner Seite gewesen, hätte er sich in seiner Wut und Verzweiflung auf den Feuerengel gestürzt. Doch Rosies Leben war ihm wichtiger gewesen. Er verfluchte den Tag, der ihn zu dieser Entscheidung gezwungen hatte.
Aaron stieß sich mit einem Schrei von der Wand ab und holte immer wieder mit dem Schwert aus, als stünde Seraphiel leibhaftig vor ihm. Irgendwann musste er völlig entkräftet aufhören. Nur langsam beruhigten sich seine Sinne und sein Geist kehrte wieder in die Gegenwart zurück.
Noch immer benommen starrte er verwirrt auf den Holzklotz, der in kleine Teile zersplittert um seine Füße verteilt war. Das Schwert lag schwer in seinen Händen. Die Erinnerung war so intensiv gewesen.
Tief in seinem Innern spürte er eine Gefahr, die sich wie dunkle Wolken am Horizont auftürmte. Nachdenklich nahm Aaron ein Tuch aus dem Koffer und putzte das Schwert. Die Entführungen, die überlaufenden Nephilim, Cynthias Tod, das alles schienen Vorläufer eines Sturms zu sein.
Vor dem Tod seiner Mutter hatte er die Zeichen nicht deuten können, jetzt spürte er die Finger der Hölle, die sich in diese Welt erstreckten, um alles und jeden ins ewige Feuer zu reißen.
Aaron horchte auf, als sich ungleichmäßige Schritte näherten. Sofort umklammerte er das Schwert fester, bis er Ham erkannte. Wenig später hinkte der Alte um die Ecke und hob die Hand.
«Lass dich nicht von mir nicht stören.»
«Nee, ich bin schon fertig. Hast du Lust auf einen Drink?»
Ham nickte. Aaron verstaute die Waffe im Koffer, und gemeinsam betraten sie die Bar.
«Ziemlich einsam hier, was?», fragte der alte Heiler, dem es schwerfiel, auf den Barhocker zu steigen.
Aaron schaltete das Licht über der Theke ein. Über sein trancehaftes Training hatte er nicht bemerkt, dass es bereits dämmerte. «Wem sagst du das. Noch vor ein paar Tagen hast du keinen Platz hier drinnen bekommen. Das Ghetto ist tot wie Cynthia. Was magst
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