Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
Unten, wo beide Pisten zwischen Langen und Stuben zusammenführten, wollten wir uns treffen. Dort angekommen, wunderte ich mich, dass von den beiden noch keiner zu sehen war. Chris und ich hatten uns Zeit gelassen, Volker hingegen war ein hervorragender Skifahrer, der nur ungern trödelte. Ich spähte den Hang hinauf. Ganz oben erblickte ich den Abriss einer Lawine, weiter unten aber nur eine Skispur. Eigentlich hätten es zwei sein müssen! »Herrgott, das kann nicht sein!« Eine Spur fehlte … Mir war klar, Volker oder sein Skilehrer, einer von beiden musste von der Lawine verschüttet worden sein. Ich schnallte meine Ski ab und lief eilig zu Fuß den Hang hinauf. Chris wartete unten, auch sie war in höchster Sorge um die beiden Männer. Doch je höher ich kam, umso sicherer war ich: Nur einer wurde verschüttet, der andere holte Hilfe. Nach 15 Minuten Aufstieg erreichte ich den Lawinenkegel (das ist die Lawinenschneeablagerung am Ende einer Lawinenbahn) und begann sofort mit der Ortung, denn in unserer Skischule wurde damals schon mit dem oft lebensrettenden Lawinenpiepser gefahren.
Nach ein paar Minuten hatte ich jemanden lokalisiert, nun musste er von den gewaltigen Schneemassen befreit werden. Ich fing an zu graben, und nach kurzer Zeit erkannte ich an der Skijacke, dass es sich um unseren treuen Stammgast Volker handelte, der da von der Lawine erwischt worden war. Während ich Schneeschichten und Eisbrocken zur Seite fegte, schickte ich ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel. Und wurde offenbar erhört: Ein kleines Luftloch hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
In der Zwischenzeit hatte sein Skilehrer sämtliche Rettungsaktionen in Gang gesetzt, der Hubschrauber mit Notarzt an Bord war alarmiert. Aber als dieser nach etwa 30 Minuten eintraf, war Volker längst befreit. Seit 40 Jahren ist er nun Stammgast bei uns in Stuben, und ich hoffe, er wird es noch lange bleiben. Das Erlebnis hat bei dem nach wie vor begeisterten Tiefschneefahrer kein Trauma hinterlassen.
So kann es gehen, gerade noch saß man auf der Hütte vergnügt beisammen, da klopfte plötzlich das Schicksal an die Tür. Glücklicherweise hatte ich oft genug einen Schutzengel dabei …
Nur ein paar Sekunden
Es war ein traumhaft schöner Tag, der Schnee glitzerte wie reinstes Kristall, und so beschloss ich am Morgen mit meiner Skigruppe 2A über die Kaltenberghütte nach Langen abzufahren. Dort gab es wunderbare Firnhänge. Als Firn bezeichnet man Schnee, der durch abwechselndes Auftauen am Tag und Gefrieren in der Nacht ziemlich grobkörnig wird.
Als staatlich geprüfter Skilehrer und Winterbergführer war ich natürlich befugt, mit meinen Gästen in solchen Gebieten zu fahren. Am Sammelplatz traf ich meine Schüler, und als wir uns gerade auf den Weg machen wollten, hielt der Skischulleiter Adolf mich auf: »Willi, du musst die Nina mitnehmen!« Das Mädchen war zwar erst neun Jahre alt, aber eine ausgezeichnete Skifahrerin, und es gab keine Kindergruppe, die so gut und schnell und somit für sie geeignet war.
»Okay, mache ich.« Ich wusste um Ninas Skikünste und konnte es somit riskieren, sie bei unserer Firntour mitzunehmen. Auf der Kaltenberghütte angekommen war ich enttäuscht. Es war in der Nacht nicht kalt genug gewesen, der Firn war nicht richtig durchgefroren, so wie ich es erhofft hatte. Wir brauchten sehr viel länger bis runter auf die Bludenzer Alpe, weil wir immer wieder mit unseren Skiern knöcheltief im sulzigen Firn einsackten.
Es war ein hartes Stück Arbeit für die gesamte Gruppe, aber beim Wasserfall atmete ich auf. Gleich hätten wir es geschafft! Doch dann blickte ich zurück und sah, dass Nina gestürzt war und dabei ihre Skier verloren hatte. Sofort pfiff ich die Gruppe zurück: »Halt! Ihr wartet hier, keiner fährt weiter!« Dann stieg ich rauf, um dem Mädchen beim Anziehen der Skier zu helfen. Gerade bei ihr angekommen ertönte ein lautes Donnern! Ich blickte mich um und sah, wie eine gewaltige Nassschneelawine sich vom Grat löste und 200 Meter vor uns ins Tal schob! Genau an dieser Stelle hätte sie uns alle unter sich begraben. Das Mädchen hatte der Himmel geschickt! Sie war unser Schutzengel, denn wäre Nina nicht gestürzt, hätten wir sicher nicht überlebt. Mit einem Schock in den Gliedern und unter größter Mühe überquerten wir die riesige Lawine. Unten in Langen angekommen betete ich mehrere Vaterunser. So viel Glück hat man wirklich nur einmal. Seit diesem Vorfall habe ich großen
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