Ab die Post
Kennst du nicht die Redensart ›Ein Mann ist nicht tot, solange sein Name gesprochen wird‹?«
5
In der Post verloren
Stanley lernt die Freude von Beuteln kennen – Herr Grützes Ahnenfurcht – Pferdeschmor ist besorgt – Reacher Gilt, ein Mann der Gesellschaft – Die Treppe der Briefe – Postlawine! – Herr Lipwig sieht es – Mit Kapuze – Der Weg des Postboten – Die Mütze
Stanley putzte seine Nadeln mit glückseliger Konzentration. Er wirkte wie jemand, der mit offenen Augen träumte. Die Sammlung funkelte auf den gefalteten Streifen aus braunem Papier und den Rollen aus schwarzem Filz, aus denen die Landschaft der Welt eines wahren Nadlers besteht. Neben ihm lag das große Vergrößerungsglas, und zu seinen Füßen ruhte ein Beutel mit diversen Nadeln, gekauft in der vergangenen Woche von einer Näherin, die sich in den Ruhestand zurückgezogen hatte.
Er öffnete ihn noch nicht, um die Vorfreude noch etwas länger zu genießen. Natürlich enthielt der Beutel mit ziemlicher Sicherheit ganz gewöhnliche Nadeln, vielleicht den einen oder anderen Flachkopf oder eine Nadel mit einem Fabrikationsfehler – man wusste es nie. Das machte die Freude an solchen Beuteln aus. Nichtsammler gingen so unachtsam mit Nadeln um und behandelten sie, als wären es nur spitze Metallobjekte, mit denen man Dinge an anderen Dingen befestigte. So manche wundervolle Nadel von hohem Wert war in einem solchen Beutel entdeckt worden.
Und jetzt hatte Stanley eine Nummer Drei Breitkopf »Hahn« Extra Lang, was er Herrn Lipwig verdankte. Die Welt glänzte wie die Nadeln, die auf dem ausgerollten Filz so säuberlich aneinander gereiht lagen. Er mochte ein wenig nach Käse riechen und Fußpilz bis zu den Knien haben, doch derzeit flog Stanley mit Schwingen aus Silber unter einem glitzernden Himmel.
Grütze saß am Herd, kaute an den Fingernägeln und brummte vor sich hin. Stanley schenkte ihm keine Beachtung, da es in dem Selbstgespräch des Alten nicht um Nadeln ging.
»… er mich dazu ernannt. Ganz gleich, was der Orden sagt! Er kann jeden befördern, oder? Das bedeutet, ich bekomme einen zusätzlichen Goldknopf am Ärmel und mehr Geld. Keiner der anderen hat mich Senior -Postbote genannt! Und er hat einen Brief zugestellt. Er hatte den Brief, sah auf die Adresse und hat ihn zugestellt! Vielleicht fließt in seinen Adern das Blut eines Postboten! Und er hat die Buchstaben aus Metall zurückgeholt. Wieder Buchstaben. Das ist ein Zeichen, ganz klar. Ha, er kann Worte lesen, die gar nicht da sind.« Grütze spuckte einen Fingernagelsplitter aus und runzelte die Stirn. »Aber… bestimmt will er dann über das Neue Pieh Bescheid wissen. O ja. Und… es wird so sein wie an Wundschorf zu kratzen. Könnte schlimm werden. Sehr schlimm. Aber… ha, so wie er die Buchstaben zurückgeholt hat… sehr gut. Vielleicht stimmt es, dass wir eines Tages einen wahren Postminister bekommen, so wie es heißt. ›Fürwahr, er wird mit seinen Stiefeln auf die zurückgelassenen Rollschuhe treten, und siehe, die Hunde der Welt werden sich die Zähne an Ihm ausbeißen.‹ Und er hat uns ein Schild gezeigt. Na schön, hing über einem piekfeinen Friseurgeschäft für Frauen, aber es war ein Schild, das lässt sich nicht leugnen.« Ein weiterer Fingernagelsplitter traf die Seite des glühenden Herds und zischte. »Und ich werde nicht jünger, so viel steht fest. Auf Probe, das ist nicht gut, das ist nicht gut. Was passiert, wenn ich morgen den Löffel abgebe? Dann stehe ich vor meinen Ahnen, und sie fragen: ›Bist du Senior-Postinspektor Grütze?‹ Und ich antworte, nein, nicht in dem Sinne. Und sie fragen: ›Dann bist du bestimmt Senior-Postbote Grütze?‹ Und ich antworte, nein, wenn man’s ganz genau nimmt. Und sie fragen: ›Uns laust der Affe, Tolliver, willst du etwa sagen, dass du es nicht weiter gebracht hast als bis zum Junior-Postboten? Was für ein Grütze bist du?‹ Und mein Gesicht wird rot sein, und ich werde knietief in Schmach stehen. Es spielt keine Rolle, dass ich mich hier jahrelang um alles gekümmert habe, o nein. Man muss den Goldknopf haben!«
Er starrte ins Feuer, und irgendwie gelang es einem Lächeln, einen Weg durch seinen verfilzten Bart zu finden.
»Er kann versuchen, den Weg zu gehen«, sagte er. »Niemand kann Einwände erheben, wenn er den Weg geht. Und anschließend erzähle ich ihm alles! Dann ist alles in Ordnung! Und wenn er den Weg nicht bis zum Ende schafft, hat er nicht das Zeug zum
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