Ab die Post
Postminister! Stanley? Stanley!«
Stanley erwachte aus einem Traum von Nadeln. »Ja, Herr Grütze?«
»Ich habe etwas für dich zu tun, Junge.« Und wenn er nicht das Zeug zum Postminister hat, fügte Grütze in der Zurückgezogenheit seines quietschenden Gehirns hinzu, sterbe ich als Junior-Postbote…
Es war schwer, an eine Tür zu klopfen, während man gleichzeitig verzweifelt versuchte, sich völlig lautlos zu verhalten. Schließlich gab Ferdinand Pferdeschmor das zweite Bestreben auf und griff nach dem Türklopfer.
Das Pochen hallte durch die leere Straße, aber niemand kam ans Fenster. In dieser besonderen Straße wäre selbst dann niemand ans Fenster gekommen, wenn ein Mord geschehen wäre. In den ärmeren Vierteln hätten es sich die Leute nicht nehmen lassen, nach draußen zu treten, um zuzusehen oder an dem Geschehen teilzuhaben.
Die Tür öffnete sich.
»Guten Abend, Verehrtefter…«
Pferdeschmor schob sich an der gedrungenen Gestalt vorbei in den dunklen Flur und forderte den Bediensteten mit aufgeregten Gesten auf, die Tür zu schließen.
»Mach die Tür zu, Mann, mach sie zu! Vielleicht ist mir jemand gefolgt… Meine Güte, du bist ein Igor, nicht wahr? Gilt kann sich einen Igor leisten?«
»Gut erkannt, Herr!«, erwiderte der Igor. Er blickte hinaus in die Dunkelheit des frühen Abends. »Allef klar, Herr.«
»Mach um Himmels willen die Tür zu!«, stöhnte Pferdeschmor. »Ich muss unbedingt mit Herrn Gilt sprechen!«
»Der Herr veranftaltet eine feiner kleinen Foireef«, sagte Igor. »Ich fehe nach, ob er geftört werden darf.«
»Sind welche von den anderen hier? Haben sie… Was ist ein Foihreh?«
»Eine kleine Abendgefellschaft, Herr«, sagte Igor und schniefte. Der Besucher roch nach Alkohol.
»Eine Soiree?«
»Genau daf meine ich, Herr«, sagte Igor ungerührt. »Darf ich dir deinen fehr auffälligen langen Kaputzenmantel abnehmen, Herr? Und bitte fei fo nett und folge mir in den Falon…«
Und plötzlich war Pferdeschmor allein in einem großen Raum voller Schatten und Kerzenlicht und starrender Augen, und die Tür schloss sich hinter ihm.
Die Augen gehörten den Porträts in den großen staubigen Bilderrahmen, die den ganzen Platz an den Wänden beanspruchten, von einer Seite zur anderen. Gerüchten zufolge hatte Gilt nicht nur die Porträts gekauft, sondern auch alle Rechte an den vor langer Zeit Verstorbenen, um dann mit einer einseitigen Rechtserklärung ihre Namen zu ändern und sich auf diese Weise praktisch über Nacht einen stolzen Stammbaum zuzulegen. Das war ein wenig beunruhigend, selbst für Pferdeschmor. Alle logen, was ihre Vorfahren anging, und daran gab es so weit nichts auszusetzen. Sie zu kaufen war… ungewöhnlich, doch kam darin eine dunkle, originelle Eleganz zum Ausdruck, die gut zu Reacher Gilt passte.
Die Gerüchte um Reacher Gilt begannen, als ihn die Leute zum ersten Mal sahen und fragten: »Wer ist Reacher Gilt? Was ist Reacher überhaupt für ein Name?« Er gab große Partys, so viel stand fest. Seine Partys wurden Teil der urbanen Mythologie. (Stimmt das mit der gehackten Leber? Warst du da? Was ist mit dem Moment, als er einen Trollstripper hereinbrachte und drei Personen aus dem Fenster sprangen? Warst du da? Und die Geschichte über die Schüssel mit den Süßigkeiten. Warst du da? Hast du es gesehen? Stimmt es? Warst du da?) Offenbar war halb Ankh-Morpork dabei gewesen, immer unterwegs zwischen Tischen, Büfett, Tanzfläche und Spieltischen, und jedem Gast schien ein zuvorkommender Kellner mit einem vollen Getränketablett zu folgen. Manche hielten Gilt für den Eigentümer einer Goldmine, und andere schworen, er wäre Pirat. Er sah zweifellos aus wie ein Pirat mit seinem langen, krausen schwarzen Haar, dem spitzen Bart und der Augenklappe. Es hieß sogar, er hätte einen Papagei. Das Piratengerücht erklärte den offenbar grenzenlosen Reichtum und den Umstand, dass niemand, absolut niemand, etwas von ihm wusste, bevor er in der Stadt eingetroffen war. Vielleicht hatte er seine Vergangenheit verkauft, scherzten die Leute, so wie er sich eine neue gekauft hatte.
Bei seinen Geschäften ging er seeräuberisch vor, das wusste Pferdeschmor. Einige der Dinge…
»Zwölfeinhalb Prozent! Zwölfeinhalb Prozent!«
Als Pferdeschmor sicher sein konnte, dass er nicht Opfer des Herzanfalls geworden war, mit dem er den ganzen Tag über gerechnet hatte, durchquerte er das Zimmer und schwankte dabei wie jemand, der ein wenig zu viel getrunken hatte, um
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