Ab die Post
inneren Türgriff, und seine Füße suchten inmitten von rutschenden Briefen nach Halt.
Schließlich atmete er die staubige, trockene Luft tief ein, scharrte wie wild mit den Füßen, krümmte den Leib wie ein Lachs am Haken und brachte genug von sich in den Korridor, um zu verhindern, durch fast zwanzig Meter Briefe und geborstenes Holz zu fallen.
Er dachte kaum, als er die Lampe vom Türpfosten löste und sich mit ihr seiner Aufgabe zuwandte.
Der Flur war hell erleuchtet, und ein dicker Teppich bedeckte den Boden, vollkommen postfrei. Feucht starrte.
Es hatte hier Briefe gegeben, dicht gepackt vom Boden bis zur Decke. Er hatte sie gesehen und gespürt, wie sie an ihm vorbei ins Treppenhaus gefallen waren. Eine Halluzination waren sie gewiss nicht gewesen, sondern fest, muffig, staubig und real. Jetzt etwas anderes zu glauben liefe auf Wahnsinn hinaus.
Feucht drehte sich um und rechnete damit, die Reste der Treppe zu sehen, doch nichts dergleichen bot sich seinem Blick dar. Der Boden mit dem dicken Teppich reichte bis zur gegenüberliegenden Wand.
Feucht begriff, dass es eine Erklärung dafür geben musste, aber die einzige, die ihm derzeit einfiel, lautete: Dies ist seltsam. Er bückte sich behutsam, um den Teppich dort zu berühren, wo eigentlich die Treppe sein sollte, und fühlte Kühle an den Fingerspitzen, als sie den vermeintlichen Teppich durchdrangen.
Und er fragte sich: Stand einer der anderen neuen Postminister hier, wo ich jetzt stehe? Ging er über das, was nach festem Boden aussah, um dann die Treppe bis zum Erdgeschoss hinunterzurollen?
Zentimeter um Zentimeter schob sich Feucht in der anderen Richtung durch den Korridor, und allmählich bemerkte er Geräusche. Es waren vage und allgemeine Geräusche, typisch für ein großes Gebäude, das hart arbeitete: Rufe, Gespräche, das Rasseln von Apparaten, das Gemurmel von tausend Stimmen, Rädern, Schritten, Stempeln, Geschreibsel, Türen, die sich öffneten und schlossen, alles an einem großen Ort miteinander zur hörbaren Textur der Geschäftigkeit verwoben.
Weiter vorn öffnete sich der Korridor an einer t-förmigen Verbindungsstelle. Die Geräusche kamen aus dem hellen Bereich dahinter. Feucht näherte sich dem glänzenden Messinggeländer des Balkons…
… und blieb stehen.
Na schön, das Gehirn ist mit großem Aufwand bis hierher getragen worden; jetzt wird es Zeit, dass es arbeitet.
Die Eingangshalle des Postamts war eine dunkle Höhle mit Bergen aus Post. Es gab keine Balkone, kein glänzendes Messing, keine fleißigen Angestellten und ganz sicher keine Kunden.
So kann das Postamt nur irgendwann in der Vergangenheit ausgesehen haben.
Und Balkone, Herr, überall im großen Saal, in jeder Etage, aus Eisen, wie Borten!
Aber sie existierten nicht in der Gegenwart, nicht im Hier und Heute. Und er befand sich nicht in der Vergangenheit, nicht direkt. Seine Finger hatten eine Treppe gefühlt, obgleich seine Augen einen Teppich gesehen hatten.
Feucht gelangte zu dem Schluss, dass er im Hier und Heute stand und ins Hier und Damals blickte. Natürlich musste man verrückt sein, um das zu glauben, aber immerhin war dies das Postamt.
Der arme Herr Backenbart war auf einen Boden getreten, der nicht mehr existierte.
Feucht blieb vor dem Balkon stehen, bückte sich und spürte erneut Kühle an den Fingerspitzen, als sie den Teppich durchdrangen. Wie lautete noch der Name? Oh, ja, Herr Unbeständig. Er hatte hier gestanden und war dann auf den Balkon getreten, um nach unten zu sehen, und…
… patsch, Herr, patsch auf den Marmorboden.
Feucht richtete sich wieder auf, verharrte dicht an der Wand und blickte in den Saal.
Kronleuchter hingen an der Decke, aber sie brannten nicht, denn Sonnenschein fiel durch die glitzernde Kuppel auf eine Szene, in der Taubendreck völlig fehlte. Menschen eilten auf dem schachbrettartigen Boden hin und her oder arbeiteten an den Schaltern aus Edelholz, sagte mein Vater. Feucht beobachtete alles.
Hundert sinnvolle Aktivitäten bildeten zusammen eine fröhliche große Anarchie. Tief unten sah Feucht große Drahtkörbe auf Rädern, die über den Boden gerollt wurden. Man entleerte Postsäcke auf Fließbänder, und Angestellte füllten fleißig die Postfächer. Es war eine Maschine aus Menschen, du hättest es sehen sollen, Herr!
Auf der linken Seite, fast am Ende des Saals, stand eine goldene Statue, drei- oder viermal lebensgroß. Sie zeigte einen schlanken jungen Mann, vermutlich einen Gott, der nicht mehr
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