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Ab ins Bett!

Ab ins Bett!

Titel: Ab ins Bett! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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stand schnell auf und band mir den Morgenmantel zu. »Hören Sie«, sagte ich, »ich habe doch schon alles zu Protokoll gegeben. Es war ein Unfall — ein Mißverständnis.«
    »Wie bitte?«
    Ich schwieg einen Moment. »Die Schlägerei. Daß das Fenster zu Bruch ging. In der psychiatrischen Klinik.«
    »Davon weiß ich nichts, Sir«, sagte er. Ich runzelte die Stirn und fühlte das getrocknete Jod auf meiner Stirn bröseln.
    »Geht es um Nick?« fragte ich. »Was hat er jetzt wieder angestellt?« Als ich zu mir kam, war er spurlos verschwunden gewesen, was es mir nicht gerade erleichterte, der Polizei den Zwischenfall zu erklären. Er war auch noch nicht in die Wohnung zurückgekommen.
    »Ich fürchte, von Ihrem Nick weiß ich auch nichts, Sir.«
    Ich wollte schon »Dann probieren Sie’s doch mit denen, die bei euch in der Kartei stehen« sagen, verschluckte es aber Gott sei Dank und versuchte statt dessen, mein braungeflecktes Gesicht zu einem Ich-bin-ganz-Ohr-Ausdruck zu arrangieren, worauf aber nur ein irritierend langes Schweigen folgte: Er nahm seinen Helm ab und fummelte daran herum, sah aus, als wüßte er nicht, was er sagen sollte; schließlich senkte er den Kopf und starrte auf den Boden, an welchem Punkt die Polizistin, eine imposante, sommersprossige Frau, in breitem Birmingham-Akzent sagte, heute sei Mutti gestorben.

19

    Dina und ich kommen zu spät zur Beerdigung; als der Dolomite um die Ecke der Pound Lane knattert und durch das nachgemachte antike Tor, das zum jüdischen Teil des Willesden-Friedhofs führt, sehe ich Familie und Freunde in unterschiedlichen Schattierungen von Schwarz neben dem Katafalk warten. Rabbi Louis Fine sieht uns entgegen und tippt auf seine Uhr. »Es war ihre Schuld«, will ich ihm zuschreien: Erst hat sie sich stundenlang Sorgen gemacht, sie hätte keinen passenden Flut, und als wir dann endlich losfuhren, behauptete sie, ich hätte ihr nie erzählt, daß mein Auto jetzt bloß noch siebzig fährt. Tja, so ist das bei Beerdigungen: Man muß immer noch aufstehen, sich anziehen, frühstücken und sich durch rücksichtslosen Verkehr kämpfen, um hinzukommen, wobei einem jede einzelne Aktivität in ihrer Banalität seltsam unangemessen erscheint: fast so, als ginge das Leben auf Kosten der Toten wie üblich weiter.
    Trotzdem, als ich die Tür zuknalle und Dina vorwurfsvoll anblitze — da siehst dus, ich hab’s dir gesagt, daß alle auf uns warten werden -, sage ich mir, daß fünf Minuten Mutti nichts ausmachen: nicht bei dem Überfluß an Ewigkeit, den sie zur Hand hat. Es ist Beerdigungswetter: grauer Nieselregen, ein Wind, der wahrscheinlich noch kälter ist, als er mir die Ärmel meines zusammengewürfelten schwarzen Anzugs hochbläst (12 Pfund von der Altenhilfe — bei solchen Anlässen ist es immer besser, Sachen zu tragen, in denen jemand gestorben ist, finden Sie nicht?). Ich haste hinüber zur Trauergemeinde, zum Teil, um meine Verspätung aufzuholen, zum Teil, weil ich es eilig habe, an ihren trauernden Busen gedrückt zu werden. Meine Familie hat sich nach den Gesetzen der Fliehkraft neben dem Katafalk aufgestellt, die Randfiguren im Außenrand:
    Tante Bubbles und Tante Edie, die beide schwarze Rüschenkleider und schwarze Hüte mit lila Schleier tragen, reden mit Simon und Onkel Ray, beide in gedeckten Anzügen; Tanya und Maurice, deren eng umklammerte Hände aus ihren identischen hochgeknöpften Capes herausgucken, schließen den äußeren Ring. Als Dina und ich näher kommen, drehen sich die Erwachsenen wie auf Befehl um, so als wäre ihr Gerede bloß eine Regieanweisung gewesen, und ich höre doch wirklich einen sagen: »Na, da kommt er ja. Eins, zwei, drei... teilnahmsvoll gucken!«
    »Mein Beileid«, sagt Onkel Ray und streckt mir seine Hand mit den behaarten Knöcheln hin. »Deine Großmutter war eine wunderbare Frau.«
    »Wunderbar!« sagt Tante Bubbles.
    »Ich weiß«, sage ich, nehme seine Hand und, nachdem ich mich in der Gruppe umgeblickt habe, unterdrücke die Frage: »Wo ist Avril?« »Übrigens, dies ist Dina. Alices Schwester.« Dina war ein Stück hinter mir geblieben, teils aus Trotz, fühle ich, und teils aus Unsicherheit. Tante Edie überschreitet die Kluft zwischen ihr und uns mit einem wirklich großartigen Fächeln ihrer Hand.
    »Hallo«, sagt sie und macht Anstalten, Dina auf die Wange zu küssen. Ich habe die plötzliche Alptraumvision, daß Edie jetzt die Hautlappen unter ihrem Kinn aus dem Weg räumt, sie hochschwingt und sich über den

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