Ab ins Bett!
weiß, daß ich ein bißchen weggetreten war — kurz, ehe ich plötzlich so losprusten mußte.«
Sie nickt, ernst, bedeutungsvoll. »Als ich dich auf dem Sofa umarmte.« Sie sagt die Worte so langsam, daß ich das Klicken des Geschützrohrs zwischen jedem höre.
»Ja...« Ich spüre einen Stich, den plötzlichen Wunsch, wieder dort auf dem Sofa zu sein. »Aber ich war doch bloß eine Sekunde weg.«
Ihr Nicken verwandelt sich in Kopfschütteln.
»Es war viertel nach sechs, als wir gingen. Ich habe dich angelogen, damals auf dem Bahnsteig. Die Uhr dort ging richtig. Du warst über eine Stunde weg.«
Ich merke, wie ich die Stirn runzle. Mein Gott, ich runzle allen Ernstes meine verdammte Stirn.
»Und was war mit Alisons anderem Kunden?« frage ich. In seiner Verwirrung stürzt sich mein Hirn auf die willkürlichsten Details.
»Er kam nicht.«
»Oh.«
Was hat diese Alison mit mir angestellt, mich in eine Art Geständniskoma versetzt?
»Und - was hab ich alles erzählt, als ich weggetreten war?« Mir bleibt wohl keine andere Wahl, als die Frage zu stellen. Dina macht ihr Schnippding mit der Zigarettenpackung und steckt sich wieder eine an.
»Du hast deine Gedanken erzählt. Die, die dich am Einschlafen hindern.«
»Und - wie hörte sich das an?«
Rauch strömt ihr aus Mund und Nase. »Wie der reinste Unsinn. Das meiste war unverständliches Zeug. Irgendwas über deinen Großvater.« Ihre Augen werden schmal. »Und dann hast du ihren Namen gesagt.«
Es scheint an mir zu sein, die klaffende Lücke zu füllen.
»Alice.« Das Wort schwebt zwischen uns wie eine Fledermaus mit ausgebreiteten Flügeln.
»Ja.«
»Bloß Alice? Mehr nicht?«
»Eigentlich nicht. Aber laut. Du hast es praktisch geschrien. Ach ja, und >bitte< hast du noch gesagt.«
»Wie wie bitte?«
»Nein, du schriest es. So: Alice, bitte!«
Ich spüre, wie ich rot werde bei diesem kläglichen Bild von mir als nackter, verzweifelter Säugling, der nach seiner Mutter heult.
»Aha«, sage ich heiser, fühle mich mehr als nur ein bißchen verletzt.
»Oh, jetzt bist du sauer.«
»Na ja...«
»Du fühlst dich hintergangen, was? Bloßgestellt? Erniedrigt?« Sie kommt ganz nah an mein abgewandtes Gesicht. »Na, dann sind’s jetzt zwei, die sich so fühlen!«
Schweigen. Die Kellnerin hat sich taktvollerweise in die Küche zurückgezogen. Ich sollte mich bei Dina entschuldigen, aber wo anfangen? Wenn ich sie für alles um Verzeihung bitte, wie sie es verdient, sitzen wir noch bis Chanukka hier.
»Ich will dir mal was sagen, Gabriel.« Sie drückt die zweite kaum gerauchte Zigarette aus. Ich fühle, wie sich die kalte Schneide in meinem Bauch dreht. »Damals, in der Frosch-Nacht, weißt du, warum ich da mit dir geschlafen habe?«
»Ahmm... na ja, bisher bin ich immer davon ausgegangen, weil du mich möglicherweise mochtest.«
»Nein«, sagt sie bestimmt. Vielen Dank. »Ich hatte einen Riesenstreit mit Alice, ehe ich zu dir kam. Darüber, daß ich zu dir wollte. Sie fand es eine schlechte Idee, daß ich mich mit dir einließ. Na ja, genau genommen war es wohl eher Ben, der was dagegen hatte, aber das war zu der Zeit, als die beiden noch in allem einer Meinung waren.«
Klänge rieseln in den Raum. Die Kellnerin versorgt uns mit Diskretion vom Band, Simply Red, glaube ich.
»Na jedenfalls, als ich bei dir ankam, war ich fest entschlossen, was mit dir anzufangen, nur um Alice zu ärgern. Sehr reif, was?«
»So besonders entschlossen kamst du mir aber nicht vor.«
»Ich bin eben nicht so leicht zu durchschauen! Aber darauf wollte ich auch nicht hinaus.«
»Sondern darauf, daß ich mir keine Sekunde lang einbilden soll, du hättest was mit mir angefangen, weil du mich gern hast. Ja?«
»Na, wen hast du denn gern gehabt, als du die Beziehung mit mir anfingst?« schreit sie mich an. »Bestimmt nicht mich, sondern jemanden, der mir bei schlechter Beleuchtung ein bißchen ähnlich sieht.«
Die Kellnerin dreht Simply Red lauter. Die Klingelschnur an der Tür scheppert, und mit einem kalten Luftschwall kommen fünf Zottel mit Fallschirmjägerstiefeln rein. Ein Geruch nach Wohnmobilen verbreitet sich im Café.
»Hör zu«, sagt Dina, jetzt mit gesenkter Stimme, »die ganze Sache, unsere ganze Beziehung, war bloß wegen Alice - für uns beide. Du, weil du sie liebst, ich, weil ich sie hasse.«
»Du haßt sie nicht«, sage ich schockiert.
»Manchmal schon«, sagt sie und reckt das Kinn in die Luft. »An dem Abend, als ich zu dir kam, haßte ich sie,
Weitere Kostenlose Bücher