Ab ins Bett!
und...«, ihr Kopf senkt sich wieder, »... in diesem Augenblick hasse ich sie.«
Simply Red verstummt, einer der Zottel hustet, viel zu heftig für einen unter fünfundachtzig.
»Und warum hast du nach der Hypnosesitzung nicht Schluß gemacht?« frage ich.
Sie zuckt die Achseln. »Ich bin daran gewöhnt, daß Männer mehr auf Alice stehen. Aber ein paar sind abgesprungen und haben sich dann in mich verliebt. Vielleicht hoffte ich, du würdest drüber wegkommen. Aber...«, sie klopft sich auf den Bauch, »...das Wagnis hier gehe ich mit dem Hintergrundwissen lieber nicht ein.«
Ich merke, das ist mein Stichwort.
»Hör zu«, sage ich, »wahrscheinlich glaubst du mir jetzt nicht -erstens, weil du mir bestimmt überhaupt nichts mehr glaubst, und zweitens, weil du sowieso eine viel zu geringe Meinung von dir hast -, aber ich... ich bin drüber weg.«
»Ach ja«, sagt sie, guckt weg und lächelt bitter.
»Du hast mich drüber weggebracht.«
»O nein, bitte!«
»Doch, hast du. Na gut. Ich gebe ja zu, daß es Zeiten gab, wo ich von deiner Schwester besessen war. Und ja, vielleicht war das auch der Grund, warum du mich angezogen hast. Aber die Menschen kommen aus Hunderten von Gründen zusammen, und nicht immer aus den richtigen.« Ich strecke meine Hand aus, lege sie wieder auf ihre, und diesmal zieht sie sie nicht weg. »Was der Auslöser war, spielt doch jetzt keine Rolle mehr. Außerdem denke ich überhaupt nicht mehr an Alice.«
»Nie?«
»Na ja, immer weniger.«
Ihrem Blick nach zu urteilen, wäre »nie« plus einem kräftigen Kopfschütteln die bessere Antwort gewesen, aber ich bin jetzt auf der Ehrlichkeits-Rutschbahn.
»Liebst du mich?« sagt sie und spießt mich mit ihrem Blick auf. »Mich, meine ich.« Sie zeigt mit dem Finger auf sich. »Die hier.«
So was ist immer hart. Ich weiß, ich habe Dina geliebt, von Zeit zu Zeit; aber ich weiß auch, es ist Scheiße, so was zu sagen. Aber so funktioniert Liebe nun mal, momentweise, oder nicht? Ob es wohl Menschen gibt, die ununterbrochen lieben? Ich glaube kaum. Wir lieben in Anfällen, die von allem möglichen ausgelöst werden: Weichheit oder Traurigkeit oder Sex. Liebeslinien laufen die Parabeln von Hintern und Tränen entlang. Letzte Woche, als sie Angst vor dem Ultraschall hatte, liebte ich Dina; und gestern nacht im Bett habe ich sie geliebt, als sie mit dem Kopf auf meiner Brust einschlief; und ein Teil von mir liebt sie in diesem Augenblick, weil ich weiß, daß ich sie vielleicht verliere. Zufrieden?
»Ja«, sage ich, aber sie sieht zu schwarz und weiß und übersetzt das Zögern als »nein«.
»Tust du nicht.«
»Doch.«
»Nicht wirklich.« Sie seufzt. Die Kellnerin bringt den Zotteln ein Kuchensortiment und Cappuccinos. Ich frage mich, wie oft Männer und Frauen noch dieses Gespräch führen müssen. »Weißt du, in was du verliebt bist, Gabriel? In verpaßte Gelegenheiten. Das ist es, was Alice für dich ist. Eine permanent verpaßte Gelegenheit. Du kannst nur lieben, was hätte sein können.«
Sie steht auf, wirft Zigaretten und Feuerzeug in ihre Tasche.
»Wo gehst du hin?«
»Zurück nach Amerika.«
»Wie bitte?«
»Zurück nach Amerika. Ich brauche Freunde, mit denen ich reden kann. Bei wem sollte ich mich hier wohl ausheulen? Bei meiner Schwester wohl kaum.«
Einige Sätze, die mit »dann« enden, kommen mir in den Kopf: Das war’s dann wohl... Tja dann, adieu... und einer, der sich nicht damit abfindet, Nein, bitte, bleib, sag, daß du für immer bei mir bleibst, aber alles klingt abgenutzt und ausgeleiert, und eine riesige Mattigkeit senkt sich auf mich; nein, die Anstrengung bringe ich nicht, jetzt was Originelles zu sagen. Und durch die ganze Müdigkeit hindurch spüre ich ein Fünkchen Freude, daß sie es wenigstens nicht Alice erzählen wird: Mein Geheimnis ist sicher verwahrt im Busen von Dinas Bitterkeit.
»Und was ist mit...?«
»Ich kenne einen Frauenarzt in Manhattan, dem ich vertraue. Er wird sich drum kümmern.«
Ihre kühle Abgeklärtheit macht mich plötzlich sehr traurig.
»Oh, Gabriel«, seufzt sie und fährt mir mit der Hand durchs Haar, »jetzt guck nicht so. Wenn es deine Gene abkriegte, würde es fett und schlaflos, und wenn es meine bekäme... «, sie kreist mit den immer noch in V-Form gehaltenen Fingern, als hielte sie eine Phantomzigarette drin. »...Ach, was weiß ich!«
»Dann würde es wunderschön«, sage ich und riskiere Kopf und Kragen mit der Drehbuchzeile, dabei meine ich es, meine es
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