Ab ins Bett!
besoffen, um drei Uhr morgens an, aus Spaß. Als hätte er darauf gewartet, war er sofort am Apparat und sagte bloß, ruhig und gemessen: »Raus.« Raus. Wir verzichteten auf unseren Plan, What an Atmosphere von Russ Abbott in die Leitung zu singen, legten leise auf und saßen vor Scham ernüchtert da.
Aus Rücksicht warte ich, bis er im Haus verschwunden ist, ehe ich aus dem Auto steige. Ich gucke hoch: Das Licht in unserem Wohnzimmer ist aus, aber ein flimmerndes Blau ist zu sehen. Ich weiß, was das bedeutet; als ich die Wohnung betrete, höre ich das Surrgeräusch, wenn der Video ausgeschaltet wird und der Fernseher zu seinen eigenen Programmen zurückkehrt.
»Poltergeist?« frage ich, während ich meinen Mantel im Flur aufhänge.
»Nein«, brummt Nick. »Die liebestollen Stewardessen.«
Ah, Pornographie. Süße, süße Pornographie.
Als ich reinkomme, sitzt Nick oben ohne in dem einen zum-großen-Sofa-passenden Sessel, pickt methodisch Flöhe sowohl vom Sessel wie von sich selbst und ertränkt sie in einer kleinen Blümchentasse mit Wasser. Jezebel hat keine Flöhe, jedenfalls nicht mehr. Als Beweis habe ich die Narben vom Umlegen verschiedener Flohhalsbänder. Aber der Sessel, in dem Nick augenblicklich sitzt, hat sie noch. Wahrscheinlich saß Jezebel irgendwann darauf, als sie Flöhe hatte. Angesichts der völligen Unzugänglichkeit der Viecher gegenüber allen auf dem Markt gängigen Pulvern, habe ich jedoch den Verdacht, daß Jezebel nicht einfach darauf saß, sondern die Zeit nutzte, eine ganze neue Spezies genetisch manipulierter Superflöhe zu züchten. Da alle Pulver nichts nützen, was soll ich tun? Ich kann schließlich dem Sessel kein Flohhalsband kaufen.
Nick könnte sich natürlich woanders hinsetzen, aber er liebt diesen Sessel, behauptet, von da hätte man den schönsten Blick auf den Fernseher. Mir kommt allerdings die Vermutung, Flöhe-killen ist seine geheime Leidenschaft.
»Wie war’s?« fragt er und wischt sich die Hände ab.
»Nicht wie bei den Liebestollen Stewardessen. «
»Pech.«
Ich setze mich auf das große Sofa und starre auf den Nachmitternacht-Schirm. The Equalizer. Edward Woodward balanciert die Waage der Gerechtigkeit. Vielleicht sollte ich ihn mal anrufen.
Wahrscheinlich ist es am besten, Nick nichts von Dina zu erzählen. Also sage ich »Ihre Schwester kommt nach England zurück«.
»Wessen?«
»Jezebels. Was hast du gedacht?«
»Alice hat eine Schwester?«
»Jaah.«
»Davon hast du nie was erwähnt.« Er schielt träge seinen linken Unterarm entlang, fährt mit der rechten Hand unter den Ellbogen, Daumen und Zeigefinger in Bereitschaftsstellung. Eine Sekunde später packen sie zu, schneller als ein Dieb auf dem Rummelplatz. Nick hebt die Blümchentasse hoch und guckt auf die von aufgedunsenen Flöhen schwarze Wasseroberfläche.
»Und...?« sage ich.
»Wie ist sie?« Er öffnet Daumen und Zeigefinger und schnickt den Floh in die Tasse.
»Ich bin ihr nie begegnet.« Außer in meinen Träumen.
»Hmmm. Wenn sie Alice ähnlich sieht, muß sie in Ordnung sein.«
»Damit würde ich leben müssen.«
»Aber was, wenn sie wirklich wie Alice aussieht, aber geistig behindert ist?«
»Ach, leck mich am Arsch, Nick.«
»Nein, im Ernst. Was ist, wenn sie wie die Frau deiner Träume aussieht, aber den Verstand einer Vierjährigen hat?«
»Dann wird sie eben mit dir ausgehen müssen. Gute Nacht.«
Normalerweise wäre ich bis drei aufgeblieben und hätte mit ihm Fernsehen geguckt — wir haben Kabel, kriegen also schier alles - deutsche Game-Shows, spanische Diskussionsrunden, Werbeprogramme. Die Werbesendungen sind fantastisch, ganze Halbstunden an Fernsehwunder, die Optimalen Raumaufteilern, Partymixern und Perfekten Paßformen gewidmet sind. Das Zeug wird von englischen Verkäufern und Verkäuferinnen in einem Studio vor amerikanischem Publikum präsentiert und mit eingeblendetem Applaus und Jubelrufen auf den Weg zum Kunden geschickt, manchmal mit solchem Getöse, daß die Erde bebt und die Maulwürfe ihre Jungen beruhigen: »Keine Sorge, es ist bloß wieder Fernsehpionier John Logie Baird, der rumspinnt.« Obwohl die Verkaufsstrategien so antiquiert sind, daß es schon fast wieder avantgardistisch wirkt, und es brutal zugeht wie bei Millwall-Fans vor dem Spiel, will man dann doch unbedingt einen Optimalen Raumaufteiler, die Perfekte Paßform oder einen Partymixer. Deine eigene Mutter würdest du umbringen für einen raffinierten Drink aus dem Partymixer.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher