Ab ins Bett!
lassen: Ihm fallen ein paar wirklich fabelhafte Flüche ein. Mein Vater ist der WHF (Wichser-Hurenbock-Fotzen)-Schwergewichtsweltmeister im Fluchen. Die Bezeichnung »Wichsbüchse« ist lediglich der Anfang seiner Skala. »Arschkopf«, »Bumsfotze«, »Hurenschlampe«, »Haariges Riesenarschpuddinggesicht« - zweiunddreißig Jahre mit meiner Mutter haben seine linguistische Erfindungsgabe außerordentlich inspiriert.
»Sschhh, Stuart.«
»SSCHH MICH ZUMARSCHNOCHMAL NICHT, DU ELENDE SCHEISSSCHÜSSEL!!«
Meine Mutter lacht. Das mag sonderbar erscheinen, aber ich nehme an, das ist ihre Abwehrstrategie — nicht nur gegen die Verunglimpfung »Scheißschüssel«, sondern auch dagegen, den zweiunddreißig in der Scheißschüssel verbrachten Jahren ins Gesicht zu sehen.
»SIE LACHT. JETZT LACHT SIE VERDAMMTNOCHMAL, DIE LÄSCHERLISCHE ALTE EIERBAHN!!«
Mein Dad kann die weichen »ch« in lächerlich nicht aussprechen, vielleicht weil ihm jede Vorstellung von Weichheit fremd ist, deshalb kommt es immer als läscherlisch heraus. Die Furchen, die von seiner trompetenförmigen Nase bis weit unterhalb seiner immer leicht blasigen Lippen verlaufen, graben sich tief in seine schlecht rasierten Wangen, während er schreit, und glätten sich dann ein wenig, als er in den Flur hinausstapft, mit dem zufriedenen Gefühl, nehme ich an, alles gesagt zu haben, was zu sagen ist.
»Dad ist ja gut drauf«, sage ich.
»Ja, nicht wahr?« stimmt meine Mutter mir zu. »Ich glaube, seit er das neue Büro bezogen hat, ist er glücklicher.«
Wenn ich sage, meine Mutter anfluchen ist das einzige, was mein Vater derzeit tut, meine ich damit natürlich, es ist das einzige, was er derzeit morgens und abends tut; tagsüber arbeitet er als eine Art Verkaufsleiter für Amstrad, obwohl ich ihn mir beim besten Willen nicht als Verkäufer vorstellen kann, der irgendwelche Kunden umsäuselt.
»Ich glaube, auch diese Beruhigungstabletten, die der Doktor ihm verschrieben hat, tun ihm gut«, fährt sie, ohne Ironie, fort. Ironie gehört nicht zu ihrem Repertoire. In ihrer Sicht der Dinge, einem der Millionen schwarzer Strahlen, die sich in ihrem Selbsttäuschungsprisma brechen, war der Mann an ihrer Seite, der sie gerade Eierbahn nannte, sehr charmant.
Sie nimmt ihre große weiße Brille ab. Als sie das Gesicht wieder hebt, wird mir klar, daß auch die eine Abwehrstrategie ist, ein Schutzschild: Mit den Brillendruckstellen um die Augen sieht sie eine Sekunde alt und zermürbt aus. Zumindest auf ihrer äußeren Hülle werden die Narben sichtbar, auch wenn die Bleischicht darunter zweiunddreißig Jahre dick ist. In ihren ovalen Nasenlöchern ist die Haut rosa wie Hühnchenfleisch.
»Und«, sagt sie und macht eine ihrer bedeutungsvollen Pausen, die mich schon immer genervt haben, und die unweigerlich einen Gangwechsel in ernsthaftes Reden signalisieren, »hat sich irgendwas Neues in Richtung Job getan?«
Ich habe das instinktive Bedürfnis, Entwicklungen in meinem Leben vor meiner Mutter zu verbergen, denn wenn ich ihr davon erzähle und sie sich freut, empfinde ich das, perverser- und kindischerweise, als Niederlage. Aber so pervers ist es vielleicht gar nicht: Denn ich weiß genau, sie würde es an sich reißen und so verdrehen, daß es in ihr eigenes Schema paßt. Sie schaltet es einfach mit ihrem Universum gleich, und damit ist ein Teil für immer verschwunden.
»Jaah«, sage ich oberschlapp, in der Hoffnung, daß sie ihre emotionale Fremdwährung nicht investiert, wenn ich gleichgültig klinge. »Ich hab irgendsonen Schreibjob.«
»Wirklich!« ruft sie aufgeregt.
»In Bens Blatt.«
»Oh.« Eine Sekunde tritt ihre Enttäuschung klar zutage, dann wird sie, wie all die anderen, die großen und die täglichen, in ihre Beschönigungsmühle geworfen. »Das ist ja wunderbar. Und es kann natürlich zu allen möglichen anderen Dingen führen.«
»Welchen zum Beispiel?« sage ich grob. Manchmal kann ich einfach nicht gegen den sadistischen Drang an, sie in die Ecke zu treiben. Aber sie boxt natürlich in einem runden Ring.
»Na, zu großen Dingen! Ich meine, das erste, was ich je schrieb, war ein winziger Artikel für die Flieger-Wochenzeitung über das Aluminiumpiano im Salon auf der Steuerbordseite, und, glaub mir, Gabriel, ich hätte im Traum nicht daran gedacht, daß sich irgendwas daraus ergeben würde. Aber — ich kann’s heute noch nicht fassen — durch diesen Artikel wurde Joy auf mich aufmerksam; im nächsten Moment war sie am Telefon, und
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