Ab ins Bett!
Zeitungsausschnitt auf der Hülle; ich habe ihn fix gelesen und so ein paar Sekunden gewonnen, ehe Dina mit Recht erwarten könnte, daß ich wieder aufblicke. »Am Schluß weint man gottverdammte echte Tränen.« Gänsehaut überzieht meine Arme bei dieser perfekten Beschreibung davon, wie es sich anfühlt, wenn Sentimentalität den eigenen Zynismus-Panzer durchstößt. Und läßt man es geschehen, ist die Katharsis, die Befreiung um so größer, wenn man weiß, daß man eigentlich über solchen Quatsch nicht heulen sollte. Dieser eine Satz bringt das ganze Erleben schon so ins Rollen, daß ich einen Kloß in der Kehle und meine Augen feucht werden spüre. O nein! Beaches muß wirklich ein guter Heuler sein. Wenn mir schon bei der bloßen Kritik die Tränen kommen!
Auf dem Rückweg, wir kommen gerade an dem großen Tiefkühlkostladen vorbei, sage ich: »Hast du diese Jungs bemerkt?«
Dina geht mit ihrem forschen, federnden Schritt weiter, Blick geradeaus. »Ja«, sagt sie. »Die haben sich Vorstadt-Sexsklaven geholt.«
Ich bin leicht schockiert. Schweigend gehen wir ein Stück weiter.
»Ist bloß so’n dämliches Laien-Abgefilme«, sagt sie nach einer Weile. »Das Cover ist ’ne unverschämte Lüge.«
Als wir in meine Wohnung kommen, sitzt Fran auf dem enormen Sofa und streichelt Nicks schlafenden Kopf auf ihrem Schoß. Sie ist jetzt seit anderthalb Tagen hier. Sie lächelt uns auf eine Art zu, bei der sich mir die Eingeweide verkrampfen. Ich habe eine Ewigkeit überlegt, ob ich diesen Videoabend hier bei mir veranstalten soll oder bei Ben und Alice. Ich dachte mir schon, daß Fran mit von der Partie sein würde. Seit jener Nacht im Krankenhaus ist sie praktisch nicht von Nicks Seite gewichen. Weiß Gott, wie die
Apotheke ohne sie auskommt. Ich hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, Ben zu bitten, derweil mit Alice auszugehen, fand dann aber, das hätte doch zu sehr nach Pubertierendem gewirkt, der seinen Dad fragt, ob er Mum heute abend nicht mal zum Essen ausführen will, damit er seine Freundin ficken kann. Wir hätten natürlich auch einfach ins Kino gehen können. Klar, wären wir beide nicht im Moment völlig pleite.
Bei Frans Lächeln verkrampfen sich meine Eingeweide nicht nur, weil sie es ist, die lächelt, sondern weil das Lächeln mit einem Wiegen des Kopfs und Seufzern gekoppelt ist, die besagen »Ich hab’s dir ja gleich gesagt.« Nicks Kopf liegt in den Falten ihres lila geblümten Kleids wie ein Beweisstück bei einer Gerichtsverhandlung — einem Zivilverfahren gegen die Hersteller von Chlorpromazin. Seit er das Zeug schluckt, hat er im Prinzip nur geschlafen. Einmal, in einer schlechten Nacht, habe ich selbst erwogen, ein paar von den Dingern einzuwerfen.
»Wie geht’s ihm?« frage ich. Dina stapft schnurstracks in mein Schlafzimmer, nachdem sie mir vorher den Befehl gegeben hat: Schaff sie aus dem Wohnzimmer.
Fran bringt dasselbe Lächeln noch mal, nur ist es jetzt noch eine Spur schmerzlicher. »Vor ungefähr einer Stunde ist er ein paar Minuten wach gewesen. Er hatte schrecklichen Durst.«
»Gehört das auch zu den Nebenwirkungen?« Als Antwort kommt ein Nicken, in dem außer einem schlichten »ja« noch steckt, daß sie so was in den Fingerspitzen hat. Ich kratze mich im Nacken. Fran streichelt weiter. Langsam habe ich den Eindruck, daß sie die Rolle der bescheidenen Weisen spielt, die gelassen abwartet, bis die Strömung des Denkens umschlägt und in ihre Richtung fließt, was ihrer Meinung nach unweigerlich irgendwann geschieht.
»Na, aber ich nehme doch an, daß das Zeug anders wirkt, wenn er es erst eine Weile genommen hat? Ich meine, er kann doch nicht den Rest seines Lebens verschlafen.«
Sie zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf (wie es scheint, gibt sich Fran nie mit einer einzelnen Geste zufrieden; nicht bedeutungsvoll genug). Ich glaube, aus dem Kopfschütteln soll man ablesen: nein, natürlich werden sie mit der Zeit nicht anders wirken, und aus dem Achselzucken: woher soll ich das wissen, ich bin bloß eine bescheidene Weise.
»Jedenfalls«, sage ich und spüre, wie die Banalität meines Anliegens mit voller Wucht gegen Frans schreckliche Ernsthaftigkeit prallt, »wollen ich und Dina uns ein Video angucken, meinst du, es bestünde die Chance, daß du...«, jetzt reißt sie ihre überblauen Augen auf, als wollte sie sich zu ’ner noch besseren Zielscheibe für unverschämte Übergriffe machen, »ihn in sein Schlafzimmer bringen könntest?«
Sie guckt mich an,
Weitere Kostenlose Bücher