Ab ins Bett!
gesprochen hatte, bot sich mir keine Gelegenheit mehr zu sagen: »Na, dann geht ihr wohl besser wieder.« Personenverwechslung hin, Personenverwechslung her, Ben war inzwischen richtig begeistert von der Idee, daß wir alle vier den Abend zusammen verbringen, und so gab es keinen andern Ausweg, als es durchzustehen. Also sitzen wir alle vier im Wohnzimmer mit Tassen voll Tee oder Kaffee und spielen Ravensburger-Katalog; Fran ist zu Nick ins Schlafzimmer zurückgekehrt, frisch aufgepumpt mit erdmütterlichem Geist.
»Gabe«, sagt Alice. »Was ist denn mit deiner Yucca passiert?«
»Oh«, sage ich und rücke den Stamm in der Erde gerade. »Ich glaube, Jezebel hat sie als Kratzbaum benutzt.«
Dina und Alice sitzen auf dem Sofa, ich und Ben auf dem türkischen Teppich, und das Zickzack weingefüllter Becher auf dem Kaffeetisch errichtet eine Sichtschranke zwischen uns. Ich finde es zu beängstigend, lange zu Dina und Alice hinzusehen, weil dann der Drang zu vergleichen einfach übermächtig wird. Besonders meine Wahrnehmung von Dina leidet darunter. Im Videoladen war sie eine eigenständige Größe; jetzt, direkt neben Alice, wird sie wieder zum Satellit. Aber als ich die Yucca-Lüge erzähle, begegne ich Dinas Blick, in dem ihr besseres Wissen aufleuchtet. Wirklich erstaunlich, schon können wir in gemeinsamen Erinnerungen schwelgen, auch wenn manche davon ziemlich grotesk sind.
»Und welchen Film habt ihr euch geholt?« fragt Ben. »Ghost — Nachricht von Sam«?
»Nein«, sage ich und klappe die schlicht-weiße Blockbuster-Schachtel auf.
»Beaches.«
»Oh, den wollte ich mir unbedingt angucken, als er anlief!« sagt Alice.
»Gabriel und Alice?« ruft Fran. Sie hat den Kopf durch die Wohnzimmertür gesteckt und macht ein so beiläufiges Gesicht, als wollte sie fragen, ob jemand Tee will. »Nick möchte mit euch sprechen. In der Küche.«
»Wann ist er aufgewacht?« frage ich.
»Vor ein paar Minuten.«
»Warum gerade mit uns zweien?«
»Das weiß ich nicht«, sagt Fran in einem Ton, als müsse sie irgendwelchen Pedanten die überflüssigsten Erklärungen geben. »Er hat es sich gründlich überlegt.«
Als sie sich ihrer Botschaft entledigt hat, verschwindet sie wieder. Ich sehe Alice an, die die Achseln zuckt.
Mit einem irgendwie übertriebenen Seufzer stehe ich auf.
Als ich mit Alice allein durch den Flur gehe, kommt mir der Gedanke: »Was — Alice! Komm, wir ficken!!« Wahrscheinlich nicht der richtige Moment.
In der Küche steht Nick vor der Spüle, nimmt die Polaroids mit seinem Konterfei von der Korkpinwand ab und wirft sie in den Mülleimer mit dem Schwingaufsatz; ein paar sind schon von der obersten Müllschicht runtergerutscht und liegen auf dem Boden. Er hat seinen schwarzen Morgenmantel an; wer hat ihm die Kleider ausgezogen, frage ich mich. Fran sitzt mit verschränkten Armen und unergründlicher Miene am Küchentisch.
»Ja?« sage ich und passe meinen Ton dem Frans vorhin an.
Nick dreht sich um, ganz Darth Vader, der endlich mit Luke Skywalker zusammentrifft.
»Ja«, sagt er und lächelt in sich hinein. »Ja.«
»Was?«
»Ich wußte, daß du das sagst.«
»Oh.«
»Ich besitze telepathische Fähigkeiten.«
»Ja. Ich dachte mir schon, daß du das damit sagen willst. Wie du wahrscheinlich schon weißt.«
Der Witz kommt nicht an. So ist das eben bei Verrückten, sie haben keinen Sinn für Gags, gleich wie spaßig der Spaßmacher ist. Plötzlich macht Nick einen langen Schritt auf Alice zu und faßt sie an den Schultern. Vorsicht, Kumpel!
»Alice!« Er guckt ihr tief in die Augen, etwas, was ich mich nie so richtig traue, aus Angst, sie könnte ein paar Liebesfünkchen darin entdecken. »Ich weiß, was du denkst. Ich kenne deine geheimsten Gedanken.«
»Und wie machst du das?« fragt Alice besorgt und verströmt aus allen Poren Mitleid. Nicht, daß sie Nick je besonders nahe gewesen wäre, nicht mal in der Die-Schöne-und-das-Biest-Rollenverteilung, aber ihr natürlicher Hegeinstinkt geht mit ihr durch. Außerdem hat sie die Anfangsphase von Nicks Verwandlung nicht mitbekommen. Es muß also ein ziemlicher Schock für sie sein, wie er jetzt ist. Und mir kam nicht mal in den Sinn, daß sie auf dem Weg vom Wohnzimmer hierher ziemlich nervös gewesen sein muß.
»Weil ich die Wahrheit kenne«, sagt er. »Die ganze Wahrheit. Ich kenne deine Wahrheit.« Er lächelt gütig, wie Jesus, der Judas vergibt.
»Setz dich«, sagt er. Sie guckt mich ratlos an, aber ich zucke nur mit den Achseln,
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