Ab jetzt ist Ruhe
bereitete sich in hektischer Betriebsamkeit auf die Wiedervereinigung vor. Das Fernsehen zeigte Bilder von leergeräumten Geschäften, und fieberäugige Verkäuferinnen berichteten aufgeregt vom Tag, da sie die Regale mit all den guten Dingen aus dem Westen füllen dürften. – Und wieder schämte ich mich. Für meine Leute und für meine Arroganz. Als ich mit Matthew und Mike in einem kleinen Kino einen deutschen Film sah, war mir meine Herkunft fremder denn je. Der Himmel über Berlin lag seltsam und schwer auf dieser New Yorker Leinwand – schöne Bilder, doch sie hatten nichts mit mir zu tun. Trotzdem hatte ich Heimweh und zählte schon die Tage, bis ich wieder nach Hause fliegen würde. Es waren noch zwanzig, als ich mit Matthew nach Chicago flog, wo er über eine Elektronikmesse schreiben musste. Es waren noch zwölf, als uns Mike übers Wochenende in das Haus seiner Eltern nach Vermont einlud, und es waren noch fünf, als ich Angst hatte, mir würde etwas Schlimmes passieren.
Ich hatte mich mit Matthew um neun bei einem kleinen Mexikaner auf der Lower East Side verabredet; wir wollten dort essen und anschließend in eines der kleinen Off-Theater in der Gegend gehen. Das Restaurant befand sich in einer Straße, in der hauptsächlich Lagerhäuser und Garagen standen und die so gut wie unbewohnt schien. Der Laden war geschlossen, also setzte ich mich auf die Stufe am Eingang und wartete. Die Straße war menschenleer, und es dämmerte bereits, als gegenüber zwei schwarze Männer aus einem Hauseingang traten. Der eine war groß und massig, der andere gedrungen und etwas kleiner. Sie blieben vor dem Haus stehen, als warteten sie ebenfalls auf etwas, und sprachen kaum miteinander. Nach einigen Minuten kam ein dritter Mann aus dem Haus, gesellte sich zu den beiden anderen, und kurz darauf erschien ein vierter.
Ich schaute auf die Uhr. Matthew war schon eine halbe Stunde überfällig, und ich fragte mich, ob ich mich vielleicht in der Zeit geirrt hatte. Weitere Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah. Die Männer standen da und warteten, die Straße wurde immer dunkler, und von Matthew keine Spur. Irgendwann bog ein Auto um die Ecke, fuhr langsam die Straße entlang und hielt schließlich bei den vier Männern. Der Massige beugte sich hinunter und redete mit dem Beifahrer, während einer der Männer, die zuletzt aus dem Haus gekommen waren, hinten einstieg. Dann fuhr das Auto weg. Die anderen drei blieben stehen und redeten leise miteinander. Plötzlich ging die Straßenbeleuchtung an, und es kam mir so vor, als drückte sich die Gruppe etwas enger an die Häuserwand. Doch vielleicht waren es auch nur ihre Schatten, die von der Laterne an die Fassade geworfen wurden. Langsam wurde ich nervös und überlegte, ob ich einfach gehen sollte. Doch die Männer hatten mich bis jetzt nicht entdeckt, und irgendetwas sagte mir, dass das auch besser so bliebe.
Die Zeit schleppte sich dahin; inzwischen wartete ich schon eine Dreiviertelstunde auf Matthew und begann mir Sorgen zu machen. Als der Massige jedoch plötzlich sehr deutlich in meine Richtung schaute, durchfuhr mich der Gedanke, dass ich es vielleicht war, um die man sich Sorgen machen müsste. Instinktiv presste ich den Rucksack etwas fester an meinen Körper. Der Mann starrte mich an, als sei ich eine Erscheinung, dann sprach er leise mit den anderen beiden und wies mit dem Kopf in meine Richtung. Jetzt starrten auch sie mich an, ich schaute weg. Die Männer tuschelten wieder miteinander, dann setzten sie sich in Bewegung und gingen langsam die Straße hinunter. Ich wollte gerade aufatmen, da blieben sie stehen, drehten sich um und gingen ebenso langsam die Straße wieder hinauf. Ich könnte einfach wegrennen, dachte ich, doch ich konnte nicht. Jetzt standen die Männer wieder vor der Haustür und redeten. Der Massige schien einen Witz gemacht zu haben, denn die beiden anderen kicherten, während sie erneut in meine Richtung schauten. Dann drehte sich der Massige zu mir um und kam langsam über die Straße, während er mit einer Hand in die Innentasche seiner Jacke griff. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich wollte aufstehen, doch ich konnte nicht. Jetzt stand er über mir – ein Berg von einem Mann, riesengroß und mindestens drei Zentner schwer. Er zog die Hand aus der Jackentasche … ein Päckchen Zigaretten. »Hi«, sagte er, zog eine Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie sich in den Mund.
»Hi.«
»Feuer?«
Der Ton, in dem er mich das fragte,
Weitere Kostenlose Bücher