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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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war Teil seines Publikums – ich glaube, er kannte nicht mal meinen Namen.
    »Was machst du denn hier?« In dem Augenblick, als ich sie aussprach, war mir schon bewusst, wie dämlich diese Frage war. »Hm …« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich glaube, ich kaufe mir heute mal neue Augen. Meine funktionieren irgendwie nicht mehr so richtig.« Er verdrehte die Augen, schielte schlimm, und ich musste lachen. Finke lachte auch.
    »Du wohnst bei mir gegenüber. Ich hab dich gesehen«, sagte er.
    »Ach ja?«
    »Ja. Und du hast einen großen Bruder, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Ich hab eine große Schwester, aber die hat sie nicht mehr alle.«
    »Aha.«
    Ich wusste nicht, was ich sonst darauf sagen sollte. Doch das musste ich auch nicht, denn ich war die Nächste in der Bäckerschlange. Ich bezahlte, packte die Brötchen ein und wartete auf Finke. Wir liefen zusammen nach Hause.
    »Wir werden bald von hier wegziehen«, sagte er.
    »Ach ja? Wohin denn?«
    »Nach Zypern, glaube ich.«
    »Nach Zypern?«
    »Hm … lass mich nachdenken«, sagte er und legte seine Stirn in Falten. »Nein. Nicht Zypern. Kongo oder Australien vielleicht.«
    »Du spinnst ja vielleicht«, kicherte ich.
    »Nein, im Ernst! Wir ziehen nach Berlin.« Ich blieb stehen. »Nach Berlin?«
    »Ja. Toll, oder?« Ich fand es nicht toll. Finke zog nach Berlin, und ich blieb hier – das war das Gegenteil von toll. Ich erzählte ihm, dass ich aus Berlin käme und dass ich wieder dorthin zurückwolle.
    »Wir ziehen erst im Sommer um«, sagte er. »Bis dahin können wir Freunde sein. Und später kommst du nach, wenn du willst.« Ich wollte.
     
    Finkes und mein Haus trennte ein Wäscheplatz, auf dem wir uns manchmal trafen und über alles Mögliche redeten. Hin und wieder verabredeten wir uns, wenn es dunkel war. Dann schauten wir aus unseren Fenstern und sandten uns mit Taschenlampen Signale hin und her. Bis es Ärger gab.
    Es war schon sehr spät, als es an der Wohnungstür klingelte. Ich machte die Taschenlampe aus, schloss schnell das Fenster und legte mich ins Bett. Nichts geschah. Es klingelte wieder. Ich hörte die Schritte meiner Mutter im Flur.
    »Ihre Tochter leuchtet mit der Taschenlampe in unser Schlafzimmer«, meckerte eine dicke Frauenstimme. Meine Mutter antwortete irgendetwas, doch ich verstand sie nicht.
    »Nein!« Die Frau schien sehr ungehalten. »Sie hat genau in unser Schlafzimmer geleuchtet.« Jetzt wurde meine Mutter auch etwas lauter. »Was soll es denn in Ihrem Schlafzimmer schon Interessantes zu sehen geben, hm?«
    »Das ist eine Unverschämtheit!«, blökte die Frau.
    »Dann machen Sie doch Ihre blöden Vorhänge zu«, sagte meine Mutter und knallte der Frau die Tür vor der Nase zu. Stille. Ich hielt die Luft an. Meine Mutter stand im Flur. Ich wartete. Dann kam sie rein.
    »Hast du den Verstand verloren?« So wütend hatte ich sie noch nie gesehen. »Reicht es nicht, dass wir hier in dieser elenden Stadt verschimmeln müssen? Musst du es noch schwerer machen, es hier auszuhalten?« Ich schwieg betroffen. »Red schon! Bist du verrückt geworden?«
    Ich weiß nicht, woher sie kam – doch jetzt stieg auch in mir Wut hoch. »Ja«, presste ich hervor. »Ich bin verrückt geworden. Steckt mich doch in die Irrenanstalt, dann seid ihr mich los!«
    »Jetzt werd nicht noch frech«, schrie meine Mutter. »Geh ins Bett und schlaf und lass mich in Frieden!« Dann knallte sie auch meine Tür zu. Von außen. Ich heulte.
     
    Am nächsten Morgen sah ich meine Mutter nicht. Ich war nicht besonders unglücklich darüber. »Es geht ihr nicht gut«, sagte mein Vater am Frühstückstisch. »Das sind die Wechseljahre. Nehmt ein bisschen Rücksicht auf sie.« Er sah besorgt aus. Ich nickte.
    Als ich aus der Schule kam, war meine Mutter zu Hause und legte Wäsche zusammen. »Hallo Mama.« Sie schaute auf. »Servus Süße.«
    »Entschuldige wegen gestern«, sagte ich.
    »Schon gut. Pass einfach besser auf, hörst du?«
    »Mach ich … Geht’s dir nicht gut?«
    »Ach, es ist nichts. Du kommst in die Pubertät, und ich werde alt«, seufzte sie. »So ist das Leben, das wird schon wieder.«
    Es wurde nicht wieder. Meine Mutter wurde launischer. Und sie wurde dicker. »Wenn ich so weiterwachse, könnt ihr mich bald bei den fetten Nilpferden im Tierpark besuchen. Grau und faul bin ich jetzt schon!« Und dann schmierte sie sich noch ein Knäckebrot. »Zum Abnehmen«, wie sie sagte. Wenn sie eine ihrer Hitzewallungen bekam, stöhnte sie: »Wenn ich so

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