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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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Vater mit dem Baum nach Hause kam. Auch er hatte schlechte Laune, und ich suchte das Weite. Ich klopfte bei meinem Bruder an die Tür, er ließ mich hinein, ich warf mich auf sein Bett und sah ihm dabei zu, wie er seine Geschenke für unsere Eltern einpackte.
    »Die Alten nerven, oder?«, sagte er.
    »Ja.«
    »Mach dir nichts draus. Die kriegen sich schon wieder ein.«
    »Mama ist so komisch in letzter Zeit.«
    »Das sind die Wechseljahre. Das geht vorbei.«
    »Wann?«
    »Keine Ahnung.«
    Wir hörten Musik, spielten Dame und Mühle, und mein Bruder ließ mich gewinnen.
    »Kaffeetrinken!« Der Ton, mit dem meine Mutter uns rief, verhieß nichts Gutes. Wir gingen ins Wohnzimmer, wo mein Vater gerade dabei war, mit großer Ernsthaftigkeit Lametta auf dem Weihnachtsbaum zu verteilen. Wir setzten uns an den Esstisch. Meine Mutter kam aus der Küche, stellte die Kaffeekanne auf den Tisch und setzte sich ebenfalls. Finster schaute sie zu meinem Vater hinüber. »Dieser Weihnachtsbaum ist ein Witz.« Mein Vater drehte sich um. »Wie bitte?« Meine Mutter nahm die Kaffeekanne und schenkte sich ein. »Ich sagte, dieser Weihnachtsbaum ist ein Witz.« Mein Vater wandte sich wieder seiner Tätigkeit zu und schüttelte den Kopf. »Dieser Baum ist so gut wie jeder andere.« Ich starrte auf meinen Kakao, der sich langsam mit einer widerlichen Hautschicht überzog.
    »Er ist ein Witz. Genauso wie dieses blöde Fest.« Meine Mutter schaute meinen Bruder und mich an, als hätte sie uns erst jetzt bemerkt, zuckte entschuldigend mit den Schultern und versuchte ein Lächeln, das ihr allerdings auf halbem Weg verlorenging. Der Rücken meines Vaters spannte sich. Er versuchte, Fassung zu bewahren, doch in ihm tobte es. Er legte den letzten Lamettafaden über einen Zweig, kam betont langsam an den Tisch und setzte sich. »Dieses Fest ist so gut wie jedes andere. Es ist Weihnachten«, sagte er mit leiser, gepresster Stimme.
    »Weißt du was?«, brach es plötzlich aus meiner Mutter heraus. »Dein scheiß Weihnachten mit deinem blöden elektrischen Baum und diesem ganzen verlogenen Tinnef kann mir gestohlen bleiben. Das hat mit mir nichts zu tun, und ich feiere das auch nicht mehr. Basta!« Mit diesen Worten stand sie auf, verließ den Raum, knallte die Schlafzimmertür hinter sich zu und schloss ab.
    Betretenes Schweigen. Mein Vater zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug, schaute mit leerem Blick aus dem Fenster und stieß langsam den Rauch wieder aus. Ich hätte alles darum gegeben, seine Gedanken lesen zu können. Mein Bruder gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass wir besser nach nebenan gingen. Ich folgte ihm in sein Zimmer. »Die beruhigt sich schon wieder«, sagte er. Ich hatte einen Kloß im Hals.
    Nach einer Stunde kam mein Vater ins Zimmer. »Ihr könnt rüberkommen«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung. Wir machen jetzt Bescherung.«
    Wir holten unsere Geschenke und gingen ins Wohnzimmer. Aus den Lautsprechern schallte uns das Weihnachtsoratorium entgegen, und alles schien plötzlich wie immer. Fast alles. Der Weihnachtsbaum … Irgendwie hatte es mein Vater fertiggebracht, die Lichterkette gegen echte Kerzen auszutauschen. Meine Mutter stand daneben und lächelte, als habe sie den ganzen Tag nichts anderes getan. Mein Bruder und ich sahen uns an. Erleichtert. Plötzlich war Weihnachten. Irgendwie.
    Wir tauschten Geschenke. Mein Vater machte gute Miene zum bösen kleinen Regal, und meine Mutter betrachtete lange und von allen Seiten das Teil, das ich für einen Spiegel hielt. »Was um alles in der Welt soll ich mit einem Schnapstablett?«, fragte sie schließlich. Für einen Augenblick drohte die Stimmung wieder zu kippen. Doch bevor das geschah, schickte meine Mutter ihrem Satz ein seltsames Grinsen hinterher. »Ich werde schon einen Platz dafür finden«, erklärte sie. »Ich weiß auch schon, wo.« Ich sah das Schnapstablett nie wieder.
    Wir aßen Würstchen mit Kartoffelsalat, und mein Vater behielt nervös den Weihnachtsbaum im Auge. Allerdings nicht in dem Moment, als er Feuer fing. Mein Bruder bemerkte es zuerst. »Ich glaube, der Baum brennt«, sagte er in einem fast belustigten Ton. Es war noch nicht schlimm, man hätte den brennenden Zweig ohne Probleme mit etwas Wasser löschen können. Doch mein Vater geriet sofort in Panik. Hastig langte er nach dem Löscheimer, den er vorsichtshalber unter dem Baum platziert hatte, richtete sich auf und brachte damit die Kiefer zu Fall, worauf auch die anderen

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