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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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dass es ihnen so schlechtgehe und dass sie sich so fürchten müssten. Nicht etwa vor ihm und seinen Liedern, sondern vor ihrem Volk.
    Drei Tage nach dem Konzert schrieben einige DDR -Schriftsteller einen Offenen Brief an die Regierung. Sie baten darum, die Ausbürgerung des Sängers doch zurückzunehmen. Viele andere Schriftsteller und Künstler unterschrieben diesen Brief. Auch mein ältester Bruder. Danach trat er so wütend gegen einen Bauzaun, dass dieser umfiel. »Ich wollte hier nie einen Bauzaun umschmeißen«, erzählte er später. »Das hier ist kein Land für so was.«
    Der Brief gegen die Ausbürgerung des Sängers wurde nicht veröffentlicht. Vielen, die ihn verfasst und unterschrieben hatten, verbot man das Wort oder sogar ihre Kunst, worauf manche von ihnen beschlossen, das Land zu verlassen. Einige ließ man gehen, andere nicht. Mein Bruder wollte nicht einfach so gehen, er wollte sein Buch in seinem Land veröffentlichen. Also bat er um ein Gespräch bei dem alten Jugendfreund meines Vaters – dem Vorsitzenden der Partei, die das Land regierte. Schließlich war er es gewesen, der die Fenster des Landes vor ein paar Jahren wieder einen Spaltbreit aufgemacht hatte. Es gab also Hoffnung. Für das Land … und vielleicht auch für ihn und sein Buch. Er bekam einen Termin und nahm das Manuskript mit.
    Die beiden Männer redeten ruhig miteinander. Über Gefängnisse, die beide von innen kannten, und über den Sozialismus, den beide wollten, von dem sie jedoch unterschiedliche Vorstellungen hatten. »Gib mir dein Buch«, sagte der Vorsitzende. »Ich sehe es mir an.« Eine Woche später bekam mein Bruder das Manuskript zurück. »Nein«, stand auf der ersten Seite. Und außerdem sei es für alle das Beste, wenn er ginge. An einem kalten Dezembermorgen des Jahres 1976 verließ mein Bruder mit seiner Freundin und deren kleiner Tochter das Land.
    In Westberlin fanden sie bald eine Wohnung, und sein Buch erschien. Mit dem Buch erschienen auch die Journalisten, wollten Interviews und luden ihn ins Fernsehen ein.
    »Erzähl uns, wie schlecht es dir drüben gegangen ist«, sagten sie.
    »Ich habe ein Buch geschrieben«, antwortete mein Bruder. »Darüber will ich reden.«
    »Sie haben dich ins Gefängnis gesteckt, das muss doch schlimm gewesen sein!«
    »Im Gefängnis zu sein ist überall schlimm. Ich möchte lieber über meine Arbeit sprechen.«
    »Du musst das Land doch hassen, das dich ins Gefängnis gesteckt und dein Buch nicht veröffentlicht hat«, sagten die Journalisten.
    »Wenn ich eine Frau verlasse und ziehe ins gegenüberliegende Haus, dann lehne ich mich nicht aus dem Fenster und schreie: Die da drüben ist eine Sau«, sagte mein Bruder.
    Die Journalisten waren enttäuscht, mein Bruder auch.
    Mein Vater saß vor dem Fernseher und rauchte.
     
    Auch sein jüngster Sohn, der inzwischen einundzwanzig war und immer noch in Leipzig studierte, hatte gegen die Ausbürgerung des Sängers mit dem traurigen Schnauzbart protestiert. Man warf ihn von der Universität, und kurz darauf stellte er einen Ausreiseantrag. Er wollte nach Frankreich oder Österreich. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Behörden informierten meinen Vater darüber: »Genosse, dein Sohn will das Land verlassen. Wir haben seinen Antrag abgelehnt.«
    »Das ist richtig«, sagte mein Vater. »Er soll hierbleiben.«
    Wenig später hatte er ein Gespräch mit seinem alten Jugendfreund, dem Vorsitzenden.
    »Dein Sohn hat einen Ausreiseantrag gestellt, was sagst du dazu?«
    »Was soll ich dazu sagen? Ich bin enttäuscht. Ich habe versagt.«
    »Ich denke, wir sollten deinen Sohn gehen lassen.«
    »Ich bin dagegen«, sagte mein Vater. »Er wird im Westen unter die Räder kommen. Er hat ja nicht mal was gelernt.«
    »Wie du willst«, sagte der Vorsitzende. »Aber was ist eigentlich mit deinem Zweitgeborenen? Wie ich hörte, unterhält er Beziehungen zu einer Tänzerin aus Amerika.«
    »Das ist vorbei«, sagte mein Vater schnell. »Sie hat unser Land verlassen.«
    »Gut«, sagte der Vorsitzende. »Dann versuche, die beiden besser an unser Land zu binden.«
    »Ja«, sagte mein Vater und wusste, dass er dieses Versprechen nicht würde halten können. Seine Söhne waren verloren. Aber ich war noch da. Die Jüngste – das Mädchen, das er sich immer gewünscht hatte. Ich würde ihn nicht enttäuschen. Noch nicht.
     
    Nachdem mein Bruder in den Westen gegangen war, stürzte sich mein Vater in Arbeit, doch er verreiste nicht mehr so oft. »Ich habe zu wenig

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