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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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meiner Funktion ist es nicht gut, wenn man keine Frau hat.«
    So langsam verstand ich, warum er dieses Gespräch nicht in meinem Zimmer führen wollte und warum er mir eine Zigarette gegeben hatte. Er wollte, dass ich erwachsen war. Er wollte, dass ich verstand. Er wollte sich meinen Segen holen.
    »Du wirst sie kennenlernen, ihr werdet euch verstehen«, sagte mein Vater. Doch seine Worte klangen, als müssten sie ihn selbst noch überzeugen. Ich fühlte mich mit meiner Zigarette nicht so erwachsen wie sonst, wenn ich rauchte, und drückte sie in den Aschenbecher. Er sah mir dabei zu, doch es schien, als registrierte er das gar nicht. Er konzentrierte sich auf die Worte, die er jetzt sagen würde: »Sie ist Mitglied unserer Partei und leitet die Personalabteilung in einem Kombinat.« Mein Vater sprach in jenem geschäftsmäßigen Funktionärston, den ich überhaupt nicht leiden konnte. Er teilte mir mit, dass sie sechs Jahre jünger sei als er und eine erwachsene Tochter und einen fast erwachsenen Sohn habe.
    »Wie hast du sie kennengelernt?«, fragte ich ihn.
    »Über eine Heiratsannonce.«
    »Wann denn?«
    »Vor drei Monaten.«
    »Aber dann kennst du sie doch kaum. Warum willst du eine Frau heiraten, die du kaum kennst?«
    »Sie ist eine gute Genossin.«
    »Liebst du sie?«
    »Ich habe deine Mutter geliebt.«
    Ich schwieg.
    »Du bist so still«, sagte mein Vater.
    »Ich geh wieder üben«, sagte ich und ging in mein Zimmer.
    Ich versuchte zu verstehen. Er würde diese Frau also nicht aus Liebe heiraten, sondern aus Angst vor der Einsamkeit. Er hatte sie sich angeschafft, wie man sich im Winter aus Angst vor der Kälte einen warmen Mantel anschafft.
    Ich erinnerte mich, wie mein Vater mir mal einen Wintermantel gekauft hatte. Wir liefen durch das Warenhaus, und ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. In der Mädchenmantel-Abteilung ließ er mir kaum Zeit, mich nach schönen Mänteln umzuschauen, geschweige denn sie anzuprobieren. Der künftige Mantel sollte ordentlich gefüttert sein, und die Größe musste stimmen. Aus welchem Material das Futter war und wie der Mantel sich anfühlte, war egal. So ähnlich hatte er sich jetzt also diese Frau angeschafft. Ob sie ihn in seinem Winter wärmen würde, konnte er allerdings noch nicht wissen.
     
    Am nächsten Wochenende stiegen wir ins Auto, um die Frau zu besuchen. Sie hatte uns zum Essen eingeladen. Mein Vater war nervös, rauchte eine nach der anderen, und ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Ich war gespannt auf die Frau, doch ich war auch misstrauisch und unsicher.
    Sie öffnete die Tür, lächelte und gab mir die Hand. Ihr Händedruck gefiel mir – er war fest und entschlossen. Sie bat uns, noch im Hausflur die Schuhe auszuziehen. Blöd, dachte ich, und zog meine Schuhe aus. Wir liefen über helle Teppichböden durch ihre sehr aufgeräumte Neubauwohnung. Es roch nach Reinigungsmitteln und gekochten Kartoffeln. Die Frau bat uns, Platz zu nehmen, holte das Essen aus der Küche, und dann aßen wir. Sie lächelte und nickte sehr viel, wenn mein Vater etwas sagte – ein bisschen zu viel, wie ich fand. Mich fragte sie nach der Schule und was ich so in meiner Freizeit täte. Ich antwortete höflich und in kurzen Sätzen. Sie nickte und lächelte.
    »Ich bin froh, dass ihr euch versteht«, sagte mein Vater später im Auto. Ich schwieg.
     
    Ein paar Monate später heirateten die beiden, und die Frau zog bei uns ein. Bald sah die Wohnung ähnlich aufgeräumt aus wie ihre und roch auch so. Jetzt lächelte die Frau nicht mehr so viel und nörgelte dafür umso mehr an mir herum. Es gab allerhand, was ihr nicht passte: meine Unordnung, meine Kleidung, mein Aussehen. Ich begann mich unwohl zu fühlen in ihrer Gegenwart.
    Auf sehr subtile Weise gab sie mir zu verstehen, dass ich nicht in ihre Welt passte. Sie sagte mir das nie ins Gesicht, doch sie ließ keine Gelegenheit aus, mich das spüren zu lassen: Mal reinigte sie geräuschvoll das Bad, nachdem ich geduscht hatte, ein andermal spülte sie mit leidender Miene noch einmal die Teller, die ich gerade abgewaschen hatte. Wenn ich Kartoffeln schälte, waren die Schalen zu dick, und so, wie ich Wäsche aufhängte, würde sie nie trocknen. Ich war unordentlich, ungeschickt und irgendwie unschön. Und genauso, wie sie es empfand, fühlte ich mich bald auch.
    Ich flüchtete aus ihrer Welt, sooft es ging, und zog mich in meine zurück. Erst jetzt merkte ich, wie sehr meine Mutter mir fehlte, und ich war wütend, dass

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